Nationale Verteidigung ist antiquiert

BeitragVerfasst am: 10.09.2004 07:29  Antworten mit Zitat 

www.friedensforschung.de
www.inidia.de/bundeswehrreform.htm

Hallo KaBa,

ob ich mich an "Stammtischen" wohlfühle, ist für verteidigungspolitische Fragen vollends nebensächliche Spekulation, allerdings ist es keine Spekulation, wenn ich Dich darauf aufmerksam mache, dass wir uns die Bundeswehr nicht zur Befriedigung des Bedarfs an Kameradschaft leisten.

Was Dich zu Deinem Posting veranlasste, ist mir nicht transparent, aber auch Du bist nur ein Mensch (in Uniform) und darfst Dich ungerecht behandelt fühlen, wie es für Menschen keine Seltenheit ist.

Allerdings stelle ich an Bürger in Uniform leicht höhere Ansprüche als an betreute Bürger in Kindertagesstätten, was konkret heißen soll: Du sollst Dir keine Feindbilder malen.

Wenn Dir also irgendwo hier oder auf dem Hindukusch eine bundeswehrkritische Meinung begegnet, dann brauchst Du nicht gleich im Angriff die Verteidigung zu suchen, was ohnehin Dummheit vieler Doktrinen ist, sondern solltest die Situation auf dem Level analysieren, auf dem sie sich befindet: Ist die Kritik gegen den "Soldaten an sich" gerichtet, gegen die "Bundeswehr an sich", ... oder wird auf Modernisierungen zugunsten einer Friedensordnung orientiert.

Meine Kritik an der Bundeswehr ist eine unter vielen, versteht sich somit auch nicht als alleingültig, sondern zunächst mal als alleinige Stimme unter den Stimmen aller Wahlberechtigten. Aus Überzeugungskraft, Schnittmengen und unveräußerlichen Menschenrechten sollte die demokratische Politik sein. Soweit solltest Du einverstanden sein, ansonsten müsste man Dich entwaffnen.

Meine Kritik an der Bundeswehr ist allerdings weitreichend und tut sich in der öffentlichen Meinung schwer, obwohl vieles davon längst Teil des Völkerrechts (insbesondere UN-Charta) wurde, nur entweder nicht in der Realität umgesetzt und/oder auf nicht weiterentwickelt wird.

Meine Kritik und Reformforderungen lauten:

1. Das Konzept der nationalen Verteidigung, also auch der nationalen Streitkräfte (Bundeswehr) ist antiquiert, denn wer den Frieden zwischen Rechtssubjekten will (Staaten sind Völkerrechtssubjekte), darf diesen Frieden nicht darauf stützen, das es im Ermessen dieser Rechtssubjekte steht, welche Mittel im Konfliktfall zum Einsatz kommen, denn das ist Selbstjustiz.

Erforderlich ist demzufolge eine über diesen Rechtssubjekten zu entwickelnde Organisation mit Gewaltmonopol und Gewaltenteilung, also >>

a) eine UNO-Legislative, die nicht nur Sammelsurium von Regierungen von stimmengleichstarken Kleinst- und Größtstaaten ist, was nicht durch das Regime der Veto-Staaten kompensiert werden kann, sondern durchgehend demokratisiert werden muss >> One Man One Vote Worldwide.

b) eine UNO-Exekutive, die über sämtliche Militärkräfte der Welt den Oberbefehl hat,

c) eine UNO-Judikative, so dass die Gewaltanwendungen rechtsförmig sind, also auf Gesetzen beruhen und entweder gerichtliche Verfahren voraussetzen oder gerichtlich überprüfbar sind.

2. Aus dem vorherigen ergibt sich, dass auch das Konzept der militärischen Allianzen antiquiert ist, wenn diese Allianzen sich nicht ausdrücklich und praktisch der UN unterordnen, denn solange sie das nicht tun, konkurrieren sie mit anderen Allianzen oder mit einzelnen Staaten, aber auch mit dem Anspruch der UN auf das Gewaltmonopol.
Entsprechende Kritik übe ich deshalb beispielsweise an den Selbstverständnissen und Strukturen von NATO und EU-Planungen.

3. Antiquiert, weil nicht auf der Höhe heutiger Menschenrechtsauffassungen, ist das Bild vom widerspruchslosen Soldaten, der Befehle auszuführen habe. Jederzeit muss der Soldat wie jeder andere Mensch das Recht zur individuellen Verweigerung an Kriegshandlungen haben, wobei ihm allein der Befund zusteht, was er unter Kriegshandlungen versteht und nicht etwa durch waffenlose Einsätze im höheren Maße erpresst werden kann, den Dienst an der Waffe vorzuziehen.

Dein Problem mit den von mir geschriebenen Texten beruht darauf, dass Du noch nicht in ernsthaften Kriegssituationen warst, Dir also nicht realisierst, dass beispielsweise das Schicksal der Wehrmacht in der Schlacht von Stalingrad nicht einfach nur für den Wahnsinn eines Hitler steht, sondern in der Tendenz auch heute noch jedem Militäreinsatz eigen ist, sobald die eigenen Kräfte nicht hinreichen, eine Konfliktsituation überlegen zu beherrschen.

Dass meine Texte solchen Zusammenhang nicht hinreichend klären, ist zunächst mal meine Schuld und liegt daran, dass auch ich häufig viel zu enge Betrachtungen bringe. Beispielsweise mit dem Stalingrad-Text nur darauf abziele, rechtsextremistischen Naivitäten auf den Pelz zu rücken, was ihren Führerkult anbelangt.

Grüße von Sven und allzeit kritisches Mitdenken in der Bundeswehr!
     
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