Verteidigungspolitik   Text in Überarbeitung 2003/02
 

Der "enge" Verteidigungsbegriff

Das sicherheitspolitische Vokabular wird durch ein Positionspapier der Unionsparteien erweitert: "Heimatverteidigung" und meint, wofür bislang der weniger emotionale Begriff der "Landesverteidigung" genügte. 

Unter Landesverteidigung konnte sich jeder etwas vorstellen: Es gibt Grenzen und das zwischen diesen Grenzen liegende Land gilt es gegen äußere Feinde zu verteidigen.

Der grundgesetzliche Verteidigungsbegriff ist "eng" und ein Resultat der imperialistischen Abenteuer, die mit Versailles und dem 8.Mai ihre Quittungen erhielten. 

Es ist ein "enger" Verteidigungsbegriff, der es nicht zulässt, dass erneut "nationale Interessen" auf fremden Staatsgebieten militärisch geltend gemacht werden können.

Es ist ein "enger" Verteidigungsbegriff, der längst nicht nur "Diktat der Siegermächte" gewesen ist, wie es rechtsextremistisches Selbstmitleid gern Glauben machen möchte, sondern Ausdruck einer alles überragenden Friedenssehnsucht, die sich im "Nie wieder Krieg!" spiegelte bis hin zu den Worten eines Franz Josef Strauß, der eben noch im NSKK gedient hatte und nun sagte: "Ehe ich je wieder ein Gewehr anfasse, soll mir der Arm abfallen.", aber er sehnte sich dann später bekanntlich auch eher nach Atomwaffen und anderem.  

Der "weite" Verteidigungsbegriff

Leider gingen die Siegermächte des 2.Weltkriegs mit der antiimperialistischen Vernunft sich selbst betreffend nie so weit, wie sie es für Deutschland begrüßten. In allerlei Doktrinen beschworen sie "nationale Interessen", die es außerhalb ihres Territoriums zu "verteidigen" gelte: die USA sprachen vom "Roll back" den Imperialismus des Ostblocks betreffend, die UdSSR suchte nach Legitimation für ihre Interventionen unter Berufung auf die "internationale Solidarität", die sie mit dem marxistischen Klassen-Begriff entterritorialisierte.

Großbritannien, Frankreich, Niederlande und andere leiteten den Interventionismus aus ihrer Kolonialgeschichte ab. Sie verstanden sich als "Ordnungsmächte" und titelten ihre Auslandsgewalt als "Polizeiaktionen".

Die nationalen Unabhängigkeitsbewegungen in der sogenannten "Dritten Welt" verwahrten sich zunehmend gegen all diese "Einmischung in innere Angelegenheiten", obwohl politische Kräfte dieser Staaten auch heute noch oft die Unterstützung ihrer ehemaligen Kolonialherren anrufen, wenn sie sich innenpolitisch nicht durchsetzen können, aber letztlich lösen sich damit die Probleme solcher Staaten nicht, wenn sie ihre Stabilität von außen holen. 
Insgesamt stehen die Zeichen bei den "Blockfreien", wie sie ihren Souveränitätsanspruch gegen die Involvierung im Ost-West-Konflikt unterstrichen, eindeutig auf Eigenständigkeit.  Eine Eigenständigkeit, die allerdings durch die enorme Verschuldung bei den Industrienationen wirtschaftlich und politisch fast vollständig und ohne Aussicht auf Besserung unterminiert scheint.

Die "Einmischung in innere Angelegenheiten" beklagten auch immer solche Staaten, denen die inneren Angelegenheiten besondere Schwierigkeiten machten. Vor allem die sozialistischen Staaten hatten trotz allen angeblichen "Volkseigentums" enorme Legitimationsprobleme und litten unter jeglicher Kritik, die sie häufig genug ausländischen Mächten zuschrieben, um ihn dann im Lande selbst als "Verrat" zu diffamieren. Die tatsächlichen Einmischungsversuche hatten auf diese Weise für die Prozesse in den totalitären Staaten kontraproduktive Wirkungen und erwiesen sich politisch unzulänglicher als die Dialog-Politik Brandts im "Wandel durch Annäherung".

Die Intervention

Warum aber stellt sich überhaupt das Problem des Interventionismus, der Einmischung in innere Angelegenheiten?

In Beantwortung dieser Frage verkreuzen sich begrüßenswerte Motive und schlechtere:  Die "innere Angelegenheit" darf denjenigen nicht vor Einmischung schützen, wer die Menschenrechte verletzt. Nur sind die Menschenrechte nichts in Kilogramm und Temperatur Messbares, sondern etwas, das in Entwicklung befindlich ist - und selbst bei uns noch lange nicht genügend erschlossen scheint, wenn man sich vergegenwärtigt, wie hierzulande beispielsweise die gleichgeschlechtliche Liebe rechtlich umstritten ist.

Am Beispiel der gleichgeschlechtlichen Liebe zeigt sich gut, wie verschieden die Maßstäbe sind, wie stark sie kulturell, religiös, also subjektiv differieren, so dass zu vielen Fragen keine Allgemeinverbindlichkeit behauptet werden kann:  Verbot der Kinderarbeit, Schleier, Vielweiberei, Geschlechtsverstümmelung, Kastenwesen, Folter, Todesstrafe etc.

Häufig fehlt es an gegenseitiger Verständigung, um die Rechtlichkeit kulturell verschiedener Menschenrechtsauffassungen zu erfahren, wodurch sich oft kulturelle Einmischung mäßigen ließe oder aber die beklagten Verhältnisse allmählich und freiwillig bessern könnten.  Der Aufklärungsanspruch muss dafür zwingend gegenseitiger Natur sein, da ansonsten die einen nicht wirklich wissen, was sie verlangen - und die anderen wüssten nicht, warum etwas von ihnen verlangt wird.

Zwischenergebnisse bzw. noch immer nur These

1. Die Menschenrechte in ihrer Gesamtheit können angesichts mangelnder Verallgemeinerbarkeit, was darunter zu verstehen sei, nicht die Maximal-Sanktion rechtfertigen, die eine militärische Intervention faktisch darstellt.

2. Die Menschenrechtsverletzung an sich ist allgegenwärtig und kann militärische Intervention regelmäßig nicht rechtfertigen, zumal eine solche ohne einhergehende Menschenrechtsverletzungen selbst unvorstellbar ist.

>> Nationale Selbstverteidigung   

>> Globales Militärmonopol

UNFERTIG  :-)  mein Essen wird kalt

Die "Öl-Krise" zu Beginn der Siebziger führte zur Umdefinierung des Verteidigungsbegriffs in Richtung eines "nationalen Interesses", das weltweit gegeben sei,  insbesondere auf ressourcenreiche Regionen  bezogen.

Wenn "nationale Interessen" weltweit geltend gemacht werden, dann geraten sie dort in Konkurrenz und Konflikt, wenn sie sich nicht auf konsensuelle Qualität verpflichten lassen. Ohne eine solche völkerrechtliche Einbindung ist also eine Entterritorialisierung des "nationalen Interesses" äußerst gefährlich, der Verteidigungsbegriff verliert die physische Gegenständlichkeit, wird ideologisiert und verkommt in unberechenbare Grenzenlosigkeit, wodurch Verteidigung zum Synonym für Angriff wird und Sicherheitspolitik an erreichbarer Stärke anstatt am Völkerrecht orientiert.

Zwischenfazit:

"Nationale Interessen" = "Nationale Verantwortung" bzw. ein globaler Verteidigungsbegriff  dürfen nur weltweit formuliert werden, wenn und soweit sie im Einklang mit dem Völkerrecht stehen bzw. sich gemeinsam mit dem Völkerrecht entwickeln. 

Der "11.September" steht für eine Fülle von Problemen und Wendungen.

1. Dieser Terrortag steht symbolisch dafür, dass sich Menschen in ihren Heimatregionen vom Westen dominiert sehen.  Viele Araber gehen davon aus, dass ihren Staaten die us-amerikanische Präsenz aufgezwungen ist und zu terroristischen Akten legitimiere, weil die Zurückdrängung auf a) politischem Weg, b) mit militärischen Mitteln nicht möglich sei. Im Extrem dieser Einschätzung entsteht der Terrorismus, der in seinem Selbstverständnis unterschiedlich gewichtet ist:   Regionalismus bzw. Arabismus und Islamismus.

Hinsichtlich des Islamismus fühlt er sich in allen Regionen der Welt zum Mitmischen berufen, in denen Muslime größere Bevölkerungsanteile haben.

Regionalismus und Arabismus wirken sich ebenfalls weltweit aus, da ihre Ideologen vor allem die USA für diejenige Macht halten, an deren Tropf viele Herrscher im Mittleren und Nahen Osten hängen.

Da die USA sich selbst neben die UN stellte und zwar nicht als Erfüllungsstaat, sondern als gleichlegitimiert und quasi in Konkurrenz, manövrierte sie sich in eine Falle, in der sie als "imperialistisch" betrachtet und angefeindet wird.

2. Der "11.September" ist  längst nicht nur zur Metapher für jegliche Begründung weltweiter Kriegsgewalt verkommen, sondern markiert auch Wendepunkte in zahlreichen demokratisch verfassten Staaten: 

In den USA wurden der Katastrophenschutz und die Geheimdienste zum Superministerium für "Heimatschutz" umgewandelt. 
Der amtliche Katastrophenschutz wurde dadurch ideologisiert, in das globale Frontdenken der Bush-Regierung eingereiht.

In Deutschland möchten die Unionsparteien nun diesem Vorbild offenbar nacheifern, wenn sie nach Grundgesetzänderungen rufen, um die Grenzen zwischen Bundeswehr, BGS, THW und Polizei verschwimmen zu lassen.

Aber auch im Ausland möchten die Unionspolitiker stärker mitmischen und treffen sich in ihren Definitionen mit den schnippischen Floskeln des SPD-Verteidigungsministers Struck, der "Deutschland auch auf dem Hindukusch verteidigen" möchte, vermutlich unwissend, wo das liegt und welche Frechheit in solchen Formulierungen liegt.

Das Unionspapier spricht davon, dass die größte Sicherheitsgefahr in der Verbindung von internationalem Terrorismus und Massenvernichtungswaffen sowie im Zerfall staatlicher Autorität in vielen Krisenregionen zu erblicken sei. 
Und in Ablenkung von unterbleibender Ursachenerkundung für solche Entwicklungen wird einer Präventiv-Gewalt das Wort geredet, die Sicherheit Deutschlands künftig dort zu schützen, wo sie gefährdet sei, bevor die Bedrohungen die Landesgrenzen erreiche, was den Schein der Plausibilität suggeriert, aber die territoriale und politische Grenzenlosigkeit der Gewaltplanungen buchstäblich macht.

Solche Doktrinen halte ich für verfassungswidrig, denn das Grundgesetz verbietet die Teilnahme an Auslandseinsätzen und Bündnissen, die nicht im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme platziert sind, Art.24 Abs.2 GG. 

Ein solches System kollektiver Sicherheit kann m.E. nur eine NATO sein, die sich nicht in Widerspruch bzw. Konkurrenz zur UNO bringt.

Wer einer Politik das Wort redet, die "notfalls ohne die UN" bzw. genauer "gegen die UN" den "Notfall" behauptend gegen einen anderen Staat Krieg führt, handelt m.E. verfassungswidrig i.S.d. Art.26 Abs.1 GG.

Warum argumentiere ich jetzt mit dem Grundgesetz?

Ist das nicht das "letzte Mittel" in der demokratischen Auseinandersetzung? 

So scheint es oftmals, denn das allgemein verpflichtende Verfassungsrecht ist in der Tagespolitik weit unbeliebter, unbekannter als die grundgesetzlichen Zuständigkeitsregeln, um die sich die staatlich konkurrierenden Rechtssubjekte (= Gewalten, Parteien, Bund, Länder, Kommunen) streiten.

Bei den Grundrechten meldet sich der Souverän zu Worte, der Staatsbürger, das Volk, von dem alle Macht im Staate auszugehen hat, also die fundamentalste Legitimationsquelle für alle Rechtsvertretung und damit Vollmachtbeschränkung.

Diesem Souverän darf die Souveränität zwar beschnitten werden, aber nur zugunsten der im Grundgesetz bestimmten Vorgaben, wie beispielsweise die Landesverteidigung zur Angelegenheit eines Kollektiven Sicherheitssystems gemacht werden dürfte.

Dieses Sicherheitssystem müsste sich dem Völkerrecht verpflichtet erweisen. 

Eindeutig heißt es in Art. dazu , denn das Rechtssubjekt Individuum und Volk ist allen staatlichen Rechtsubjekten stets die unbequemste Diskussionsebene, weil sich nirgends sonst die Legitimationsfrage hoheitlichen Handelns fundamentaler stellt als bei denen, von denen nach Leitmotiv der Verfassung alle Macht ausgeht.

 

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