Pazifismus vs. Streitparteilichkeit

Lieber Yussuf,

Streitparteilichkeit trifft auf mich nicht zu. Man könnte es daran sehen, dass mir andere Leute umgekehrte Streitparteilichkeit vorwerfen. Die beiderseitigen Vorwürfe stellen sich mir nur als beiderseitige Begehrlichkeiten dar, denen ich nicht gerecht werden möchte. Wenn ich bürgerliche Schiedsgerichte abhalte, wird das auch versucht, lässt mich aufmerken, prüfen, ob es stimmt, aber meist stimmt es nicht.

So auch im Nahost-Konflikt: Um ein zerstörtes Dorf im Südlibanon darf mir nicht weniger leid sein als um ein zerstörtes Dorf in Nordisrael.

Aber genau darin unterscheiden sich nicht nur die Fakten, denn die Zerstörungen sind schon sehr "asymmetrisch", wobei Symmetrien im Schlechten kein Gutes wären, sondern es unterscheiden sich auch noch die Geister - und zwar paradox, denn das zerstörte Dorf im Südlibanon
sehe ist nicht nur den kämpfenden Israelis weniger wert als das die Ortschaft in Nordisrael, sondern obendrein auch den kämpfenden Antiisraelis, wenngleich sie alle Opfer zu "Märtyrern" ihrer "Sache" machen, aber letztlich die größten Verluste als "Siege" feiern, sobald die Waffen wieder schweigen.

Das ist die "Logik" aller Kriegerei, denn Eingeständnisse dürfen nicht sein, wie ich schon ausführlich beschrieb.

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Um auch den Lesern alle Streitparteilichkeiten zu erschweren, verallgemeinerte ich eigens den Titel dieses Topics:

Nach Alexanders HumanRightsWatch-Titel "Israel Must Not Use Indiscriminate Weapons" hätte ich für die Sünden der "anderen Seite" zwar auch einen neuen Topic eröffnen können, wollte es aber dahin, dass sich beide Streitparteien auf der Anklagebank sehen, wo sie mir hingehören.

"Völkerrechtswidrige Hamas- und Hisbollah-Raketen" ist kein "reißerischer Titel", allenfalls eine Behauptung, die ich dann ausführlich begründete. Die Begründung betreffend kann man freilich anderer Auffassung sein. Auch darauf ging ich ein.

Wenn ich zunächst einmal deutlich machen möchte, dass die Rechtfertigungen der Kriegsparteien nicht inakzeptabel sind, schon beschrieben als Gaunerei um die Priorität von Henne und Ei, dann bliebe vielleicht noch die Frage, bei wem die "größere Verantwortung" für den Konflikt liegt.

Solche größere Verantwortung sehe ich auf Seiten der Israelis, denn sie haben eine terroristische Aktion mit Krieg beantwortet, haben meines Erachtens mehr Schuld daran, dass sie mit ihren Feinden den Verhandlungstisch meiden, den Bürgerkrieg zwischen Hamas und Fatah durch Steuer- und Zollunterschlagung entfachten, wofür ich prophezeit hatte, dass sich die Bürgerkriegsparteien gegen Israel verbünden werden. Aber mein Reden interessiert die israelische Scharfmacher nicht, sondern macht mich zum "Kollaborateur" antiisraelischer Interessen.

Und ich fände Schadensersatz richtig >> Israel für die Schäden im Libanon, der Libanon für die Schäden in Israel, denn sie durften nichts davon.

Nun mag manch Araber die Rechnung überschlagen und ihm meine Sätze mögen Honig auf die Seele sein, was ich jedem aufrichtig gönne, ob verdient oder nicht (!), aber das Versagen und die Kriegsverbrechen der Israelis rechtfertigen überhaupt nichts an Unrecht von arabischer Seite, keine einzige Rakete, keinen einzigen Sprengstoffgürtel, zu dem der "Widerstand" rückkehren wird, wenn die Raketen verschossen sind.

Es sind ebenfalls Kriegsverbrechen und das auch gegenüber den eigenen Leuten, weil es "Kamikaze-Taten" sind.

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Manche Araber glauben Israel mit NS-Vergleichen nerven zu dürfen. Und ich sage: "Vergleichen lässt sich alles, macht nur unterschiedlich viel Sinn bis hin zur Geschmacklosigkeit", aber zumindest weniger geschmacklos, weil Araber nicht Opfer des Holocaust wurden, ist es, wenn man mal die Politik der Hisbollah mit der Politik Hitlers vergleicht >> Alles kaputt und trotzdem keine Kapitulation.
Das ist kein "Heldentum", sondern Dummheit, Verbrechen, mehr nicht.

Die Nichtkapitulation in aussichtsloser Lage ist purer Extremismus. Die Hisbollah zwingt den Libanesen einen Märtyrerstatus auf. Daran ist nichts "heilig", wie sie sich nennen, sondern es ist eine Schande. Hier fernab kann ich das leicht sagen. In Hisbollah-Gegenden sicherlich nicht. Auch das muss sich ändern, wäre Zeit und Zeichen für Zivilisierung.

Und trotzdem fordere ich: Die Schandtäter sollen sich an die Verhandlungstische begeben, weil sie in dieser Verantwortung sind, solange man sie nicht in Ketten legt.
Nichts anderes sollten die Menschen im Libanon, im Gaza, in Israel verlangen. Lauter und lauter, denn ihre Führer haben versagt.

Aber das reicht mir alles nicht, auch wenn es schon helfen würde, denn die Welt muss den Streitparteien das Recht auf Selbstjustiz bestreiten, wie es die UNO-Charta zwar längst verlangt, aber noch immer nicht umsetzt. In Schritten von Blauhelmen bis hin zu einer schlagkräftigen Weltpolizei.
Aber davon entfernen wir uns z.B. mit jedem Kriegs-U-Boot, das Deutschland bislang exportierte, mit jeder Kalaschnikow, die in sogenannte "Befreiungskriege" geschickt wurde und Kugeln verschoss.

Die Welt muss sich dahin entwickeln, dass Kriminelle vor Polizeien auf der Flucht sind und nicht Millionen Menschen auf der Flucht vor Kriminellen.

Die Welt muss sich dahin entwickeln, dass allein die Polizeien die Waffen und besseren Waffen haben, deren Einsatz supranationalem Recht untersteht und bei Falscheinsatz zu Strafe und Schadensersatz von Gerichten verurteilt wird.

Doch nichts wäre schon durch die Einsicht am Ziel, während jeder Schritt dorthin ein Fortschritt wäre mit unmittelbarem Gewinn für die Geschicke der Menschen.

Lieber Yussuf, all dieser Text geht nicht gegen Dich, sondern teilt nur mit, wie ich denke, wozu immer zu wenig Zeit ist, wenn es nicht mehr Menschen mit Entschlossenheit und Talent tun.

Es wird so viel geballert, dass wir mit dem Zählen von Patronen und Opfern kaum nachkommen können. Wir verzetteln uns in den Details, so dramatisch sie sind, kommen nur wenig zum Denken, wie es zu ändern ist. In friedlicheren Zeiten wiederum lehnen sich so viele zurück, ruhen sich aus. Auch das war so im Nahen Osten, wodurch viele Chancen vertan wurden.

Aber ich bin ein so hartnäckiger Optimist, dass ich denke: Wir schaffen den Durchbruch im Massenbewusstsein gegen den Krieg und beschneiden den Herrschenden die Rechte zur militärischer Konkurrenz und Selbstjustiz.

Optimismus, Argumente überzeugen noch nicht, mangels Macht aus Netzwerken, mangels Schlüssigkeit und Richtigkeit meiner Thesen. Da mache ich mir wenig vor. Und das auch Leuten so, die sich durchzusetzen reichlich verdient hätten. Einige mit größter Macht, wie die US-Präsidenten Woodrow Wilson und Franklin D. Roosevelt oder wie der letzte Sowjet Gorbatschow. Aber es waren jeweils schlechte Zeiten. - Andere Leute werden es sein und schaffen.

Liebe Grüße von Sven           >> Diskussion

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