Atomwaffenpolitik 20090616

Pressemitteilung vom 16.06.2009 | 12:16
Auswärtiges Amt
Kommentar von Markus Rabanus
Rede von Staatsminister Gernot Erler „Welche Zukunft für Atomwaffen? / Deutsche Perspektiven“

Beitrag zum “20. Cercle stratégique franco-allemand” in Mulhouse


Meine sehr geehrten Damen und Herren,

zunächst möchte ich Ihnen für die Möglichkeit danken, heute über deutsche Perspektiven für die nukleare Abrüstung zu Ihnen zu sprechen. Mein Beitrag gliedert sich wie folgt:
Trotz einiger Übereinstimmung in der Richtung ist Erlers Analyse unzureichend und teilweise schlicht und einfach FALSCH, wie in den unteren Kommentarfeldern ersichtlich gemacht wird.

Der Bundesregierung soll nicht abgesprochen werden, dass sie die nukleare Abrüstung wünscht, aber Erlers Rede leistet dazu keinen Beitrag.

I. Die Vision des „Global Zero“
II. Wege zur Stärkung des NPT
III. Die EU als Akteur einer konkreten Agenda von Abrüstung und Nonproliferation
 
I. Die Vision des "Global Zero"

Mit seiner richtungweisenden Rede in Prag am 5. April hat sich US-Präsident Obama klar hinter das Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt gestellt. Obama hat damit in eindrucksvoller Weise die USA nicht nur auf eine neue Politik verpflichtet, die Rüstungskontrolle und Abrüstung wieder zu einem Kernbestandteil der Sicherheitspolitik macht. Er hat auch einen Paradigmenwechsel vollzogen. Dabei hat er Grundgedanken aufgegriffen, die vier gestandene US-Sicherheitspolitiker - Henry Kissinger, Sam Nunn, Bill Perry und George Shultz - in einem viel beachteten Artikel im Wall Street Journal im Januar 2007 entwickelt hatten. Ihre Überlegungen haben seitdem ein vielfältiges Echo gefunden; auch in Deutschland haben sich namhafte Sicherheitspolitiker - Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Hans-Dietrich Genscher und Egon Bahr - dem angeschlossen.
 
Die Argumentation für ein Umsteuern auf „Global Zero“ ist wie folgt:

Ähnlich wie Anfang der 60er Jahre, als Präsident Kennedy einen drastischen Anstieg der Zahl der Atommächte befürchtete und als Reaktion hierauf schließlich der Nukleare Nichtverbreitungsvertrag (NPT) ins Leben gerufen wurde, steht die Welt erneut an einem Scheideweg.
 
Die Gefahr ist real, dass Proliferationsfälle wie Nordkorea und Iran eine Erosion des NPT nach sich ziehen. Kommt es in den betroffenen Regionen zu neuen, atomaren Rüstungswettläufen, kann dies sogar das Nichtverbreitungssystem zum Kollaps bringen.  Die aktuellen Proliferationsfälle sollten im Vergleich zu den früheren Proliferationsfällen nicht dramatisiert werden, denn Indien und Pakistan standen häufig genug am Rand zum nuklearen Schlagabtausch. 
In einer solchen Welt, so Kissinger und seine Mitstreiter, gibt es keine Garantie, dass Abschreckung verlässlich bleibt Die Abschreckung war schon zuvor nicht "verlässlich", denn das Wettrüsten gab sich stets als "Nachrüstung" aus, um die Gegenseite zu übervorteilen.
und ein Einsatz von Kernwaffen, ob gezielt oder auf Grund eines Missverständnisses oder Unfalls, dauerhaft ausgeschlossen werden kann. Auch dieses Risiko ist NICHT neu, wie die Vielzahl der Zwischenfälle zeigt, ohne deren Dunkelziffer zu kennen.
Hinzu tritt die neue Gefahr von Nuklearterrorismus, gegen die nukleare Abschreckung ebenfalls versagt. Daher, so das Fazit, ist die Vision der nuklearwaffenfreien Welt die einzig tragfähige Perspektive, um nachhaltig Sicherheit zu schaffen. Auch dieses Gefahr kann nicht "neu" sein, sondern ist allenfalls von  größerer Dimension.
Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass sich die Bedeutung von Nuklearwaffen im heutigen sicherheitspolitischen Umfeld drastisch verändert hat. Wir haben es nicht mehr mit einer Konfrontation zweier nuklear hoch gerüsteter Blöcke zu tun, sondern mit einer Vielzahl neuer sicherheitspolitischer Herausforderungen, mit häufig asymmetrischen Risiken und Bedrohungen. Zur Bewältigung dieser sicherheitspolitischen Herausforderungen können Nuklearwaffen keinen Beitrag leisten. Erler ignoriert, dass die Russland und NATO leider doch konkurrieren, wie es sich besonders in der Raketenabwehr-Debatte zeigt.

Diese militärische Konkurrenz ist allein dadurch zu überwinden, dass sich Russland und NATO hinsichtlich der Kommandostrukturen verbünden, wie es Moskau oft vorgeschlagen hat, um sich nicht von NATO-Waffen "umzingelt" zu sehen.

Zudem herrscht eine erhebliche Konkurrenz in militärindustrieller Hinsicht.

Der Sicherheitsexperte und neue amerikanische NATO-Botschafter Ivo Daalder hat in einem ebenfalls bedeutsamen Artikel in „Foreign Affairs“ das Argument entwickelt, es gebe heute nur noch eine verbleibende Legitimation für den Besitz von Nuklearwaffen, und zwar die Abschreckung anderer vom Einsatz solcher Waffen. Das ist nun wahrhaftig nicht "neu", sondern war zu allen Atomwaffenzeiten das hauptsächliche Argument.
Aber solange es noch nicht einmal auf der Bekenntnisebene ein Abkommen über den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen gibt, geschweige denn einen kontrollierbaren Ersteinsatzverzicht, tauchen eben ganz typischerweise immer wieder auch Einsatzplanungen zum Ersteinsatz auf. 
>> Erstschlag
Damit ist zugleich der Weg gewiesen, dass durch gemeinsame Abrüstungsschritte aller Besitzerstaaten Nuklearwaffen überflüssig gemacht und das Endziel der vollständigen Nuklearabrüstung erreicht werden kann. Diese Einschätzung ist nur richtig, wenn der Ersteinsatz von Atomwaffen tatsächlich aus den Militärstrategien gestrichen wäre. 
Daalder fordert, Washington solle die bestehende, weiter gefasste Nuklearstrategie der USA ändern und die Abschreckung gegen den Einsatz von Nuklearwaffen zum einzigen Ziel seiner Nuklearstrategie erklären. Erler weiß also, dass genau dieser wichtige Schritt noch aussteht.
Mit der Prager Rede Obamas sind dies keine bloßen akademischen Gedankenspiele mehr. Präsident Obama hat in seiner Rede angekündigt, die Rolle von Nuklearwaffen in der amerikanischen Sicherheitsstrategie herunterzustufen. Gleichzeitig hat er bekräftigt, dass die USA eine glaubwürdige Abschreckung aufrechterhalten werden, solange diese Waffen existieren. Mit diesen Vorgaben wurden in den USA die Arbeiten zur Überprüfung der US-Nukleardoktrin begonnen. Mit dem Ergebnis werden auch wir uns auseinandersetzen müssen.  
Der Ort, an dem die Diskussion um die zukünftige Rolle der nuklearen Abschreckung für die Verteidigung Europas geführt wird, ist das nordatlantische Bündnis. Dieser Prozess hat bereits begonnen. Denn die NATO hat sich auf ihrem Jubiläumsgipfel in Straßburg und Kehl den Auftrag gegeben, ein neues Strategisches Konzept auszuarbeiten. Es ist daher jetzt Aufgabe der NATO, die Diskussion, die in den USA zur Rolle von Nuklearwaffen und der nuklearen Abschreckung begonnen hat, aufzunehmen und weiterzutragen. Hier ist auch ein aktiver Beitrag der europäischen Bündnispartner gefragt. Dies gilt für Deutschland genauso wie Frankreich. Auch wenn Frankreich nicht an den Arbeiten der nuklearen Planungsgruppe der NATO teilnimmt, tragen doch die französischen Nuklearstreitkräfte zur Abschreckung des Bündnisses bei.  
Derzeit - so sieht es auch Obama - kann auf nukleare Abschreckung nicht verzichtet werden. Staatspräsident Sarkozy hat in seiner Grundsatzrede in Cherbourg am 21. März 2008 das Festhalten Frankreichs an der nuklearen Abschreckung bekräftigt.  Die Abschreckung müsste sich klar auf den Ersteinsatz von Atomwaffen beziehen.
Die NATO setzt zum Schutz des Bündnisses gemäß dem geltenden strategischen Konzept von 1999 auf die Wirkung von Abschreckung, zu der Nuklearstreitkräfte des Bündnisses beitragen.   
Der grundlegende Zweck der nuklearen Streitkräfte wird von der Allianz als politisch definiert: Wahrung des Friedens und Verhinderung von Zwang und jeder Art von Krieg.  Dieser "grundlegende Zweck" der nuklearen Streitkräfte ist ZU ALLGEMEIN gefasst, um die Atomwaffen in der Militärstrategie runterzustufen.
Dabei gilt, dass sich die Bedeutung der Nuklearstreitkräfte im neuen Sicherheitsumfeld seit Ende des Kalten Krieges wesentlich verändert und die Abhängigkeit der NATO von Nuklearwaffen sich weiter reduziert hat.  Der Ansatz ist falsch, denn wer die "Abhängigkeit von Atomwaffen" durch konventionelle Aufrüstung sichern will, der redet der letztendlichen Abhängigkeit von atomarer Abschreckung eben doch das Wort.
Die Arbeiten am neuen Strategischen Konzept der NATO werden die Frage zu beantworten haben, ob und in welchem Umfang Nuklearwaffen weiterhin für eine glaubwürdige Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses als erforderlich angesehen werden.  
Auf die Frage, welche Aufgaben Nuklearwaffen bei der Bewältigung künftiger sicherheitspolitischer Herausforderungen spielen können und sollen, gibt es keine einfachen Antworten. Denn der Weg zur nuklearen Abrüstung ist noch weit: Auch wenn sich die Zahl der Atomwaffen seit den Hochzeiten des Kalten Krieges verringert hat, existieren weltweit immer noch mehr als 25.000 atomare Sprengköpfe. In 40 Staaten der Welt lagern ca. 2.500 t Spaltmaterial, aus denen theoretisch weitere 200.000 Kernwaffen gebaut werden könnten.   
Und die Proliferationsgefahren sind sehr real, wie uns der nordkoreanische Atomtest sehr drastisch wieder vor Augen führte.   
Klar ist: Die Bedeutung der Atomwaffen insgesamt muss verringert, das nukleare Tabu gestärkt werden. Dann hätte die Bundesregierung den Abzug der Atomwaffen fordern sollen.
II. Wege zur Stärkung des NPT

Von grundlegender Bedeutung wird sein, die internationalen Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung und die dazu geschaffenen Instrumente und Vertragssysteme zu stärken. Dies ist spätestens seit der Verabschiedung der Europäischen Sicherheitsstrategie und der daran anknüpfenden Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen von Ende 2003 ein zentrales Anliegen der Europäischen Union. Hier, und nicht bei der Frage der künftigen Nukleardoktrin, die ihren Platz im Wesentlichen im Rahmen der NATO hat, sehe ich eine maßgebliche Rolle der EU als sicherheitspolitischer Akteur.
 
Ein zentrales Datum, um auf diesem Wege international voranzukommen, ist die im Mai 2010 anstehende Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags. 2010 muss ein Erfolg werden und das Nichtverbreitungsregime nachhaltig stärken. Das Debakel der letzten Konferenz im Jahr 2005 darf sich nicht wiederholen. Ein erneutes Scheitern würde die Legitimität des NVV schwer schädigen. Das können wir uns angesichts der erwähnten globalen Herausforderungen nicht leisten! Denn der NVV ist und bleibt der wichtigste Rahmen und die Grundlage aller unserer Bemühungen um die Atomwaffenkontrolle.  
Dieser Nichtverbreitungsvertrag aber ist ein Gegengeschäft. Auf der einen Seite ist eine wirksame Eindämmung der Weiterverbreitung von Atomwaffen eine Voraussetzung, damit die Nuklearwaffenstaaten zu tiefen Einschnitten in ihre Atomwaffenarsenale bereit sind. Der Ausgang der Überprüfungskonferenz wird daher auch davon abhängen, ob wir Fortschritte bei der Lösung der Krisen um die Atomprogramme des Iran und Nordkoreas erreichen. Diese Staaten bleiben die größten Herausforderungen für das Nichtverbreitungsregime, denn sie haben internationale Regeln verletzt und widersetzen sich den Forderungen der internationalen Gemeinschaft, bereits eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen.  
Auf der anderen Seite werden wir den internationalen Konsens zur Abwehr von Proliferationsgefahren aber nur stärken können, wenn die Atomwaffenbesitzer substanzielle und unumkehrbare Abrüstungsschritte unternehmen.   
Das bedeutet, dass sich alle Parteien auf den grundlegenden „Handel“ des NVV besinnen müssen - Verpflichtung zur Nichtverbreitung einerseits, zur nuklearen Abrüstung andererseits, sowie das Recht aller auf verantwortliche friedliche Nutzung der Kernenergie. Obama hat in Prag bekräftigt, dass der grundlegende „Handel“ (Korrespondenz der Art. IV-VI) weiter tragfähig ist. Art.6 Atomwaffensperrvertrag markiert die entscheidende Gegenleistung der Atomwaffenmächte zur vollständigen Abrüstung und lautet: "Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle."
Um den Vertrag dauerhaft so zu stärken, dass er weiterhin seine Funktion als das grundlegende Instrument der nuklearen Nichtverbreitungsarchitektur erfüllen kann, brauchen wir aber zwei Dinge:  
Zum einen müssen die Vertragsstaaten die Grabenkämpfe der letzten Jahre um mehr Abrüstung oder mehr Nichtverbreitung überwinden und zu der Überzeugung zurückfinden, dass beide Ziele gleichermaßen im gemeinsamen Sicherheitsinteresse aller Vertragsstaaten stehen. Erler weiß also, dass sich Russland und NATO in ihren Zielen uneins sind.
Zum anderen brauchen wir aber konkrete Schritte in all diesen Bereichen.  
Lassen Sie mich auf beide Punkte weiter eingehen.

Zur Stärkung der verantwortungsvollen Einbindung aller Vertragsstaaten in das NVV-Regime halte ich es für geboten, den neuen Politikansatz der amerikanischen Regierung zu unterstützen. In diesem Kontext ist es begrüßenswert, dass auch die beiden europäischen Nuklearmächte Frankreich und Großbritannien bereits klare rüstungskontrollpolitische Signale gesendet haben. Präsident Sarkozy hat in seiner Rede in Cherbourg angekündigt, das französische Nukleararsenal um ein Drittel auf unter 300 Atomsprengköpfe zu reduzieren. 
Die französische und britische Position zu Atomwaffen ist äußerst klärungsbedürftig, wird aber kaum erörtert.
Präsident Sarkozys Vorschläge zur nuklearen Abrüstung und zur Stärkung des Nichtverbreitungsregimes enthalten wichtige Elemente, welche die EU insgesamt aufgegriffen und im Rahmen des Überprüfungsprozesses des NVV präsentiert hat.  
Ich denke aber, dass Europa noch weiter gehen sollte und sich auch Obamas Ziel einer atomwaffenfreien Welt anschließen sollte.  
Wir brauchen die Perspektive einer atomwaffenfreien Welt, um die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für weitere konkrete Schritte sowohl in der Abrüstung wie auch bei der Nichtverbreitung zu mobilisieren. Deutschland hat sich dem Ziel der Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen verpflichtet; Außenminister Steinmeier hat die Vorschläge Obamas daher ausdrücklich begrüßt.   
Auch Großbritanniens Premier Brown und Russlands Staatspräsident Medwedjew haben sich zum Ziel einer vollständigen Abschaffung aller Atomwaffen bekannt - wobei allen klar ist, dass der Weg dorthin lang sein wird. Je länger der Weg, desto höher müsste die Geschwindigkeit sein, es sei denn, man hätte die Wichtigkeit der Zielerreichung verkannt und damit die Gefahren der gegenwärtigen Entwicklung unterschätzt. 
Ich würde mir wünschen, dass auch Frankreich sich vorbehaltlos zum langfristigen Ziel einer atomwaffenfreien Welt bekennen könnte. Exakt.
Selbstverständlich ist dieses Ziel nur erreichbar, wenn auch konventionelle Kräfteungleichgewichte korrigiert und reguliert werden und eine funktionierende kollektive Sicherheitsarchitektur regional und international Konflikte verhindert.  Falsch, denn über die "Kräftegleichgewichte" wird genau das Blockdenken geschürt, welches Erler  als überwunden oder überwindbar ansieht.

Und es ist überwindbar, aber dann darf es gerade nicht mehr auf "Kräftegleichgewichte" ankommen.

Aber in der heutigen multipolaren Welt lassen sich sicherheitspolitische Zweiklassensysteme nicht dauerhaft aufrechterhalten, können Abrüstung und Nichtverbreitung nur wechselseitig gestärkt werden. kritikbedürftig. im Moment fehlt die Zeit
III: Die EU als Akteur einer konkreten Agenda von Abrüstung und Nonproliferation

Abschließend: Erlauben Sie mir nun einige Bemerkungen zu den konkreten Schritten, die wir brauchen. 
 
Die EU hat, wie bereits erwähnt, beim letzten Vorbereitungstreffen für die NVV-Überprüfungskonferenz im Mai d. J. umfangreiche Vorschläge unterbreitet.  Dokumentieren und verlinken
Die Kernwaffenstaaten in der EU, also auch Frankreich, können zudem bereits auf substanzielle eigene Beiträge verweisen, sowohl bei konkreten Abrüstungsschritten wie auch bei der Herstellung von Transparenz in diesem Bereich.  
An erster Stelle stehen hier weitere Reduzierungen der amerikanischen und russischen Nukleararsenale im Rahmen eines START-Nachfolgevertrags und darüber hinaus. Beide Länder verfügen weiterhin über mehr als 90 % aller Nuklearwaffen. Funktionierende Abschreckung, dass hat der bereits von mir erwähnte Ivo Daalder gezeigt, ist auch mit deutlich niedrigeren Arsenalen möglich. Aus deutscher Sicht ist es erforderlich, dass auch die so genannten substrategischen oder taktischen Nuklearwaffen in den weiteren Abrüstungsprozess einbezogen werden. Diese Waffen aus den Zeiten des Kalten Krieges sind heute militärisch obsolet.  
Dennoch verfügt vor allem Russland weiterhin über eine große Zahl dieser Waffen, die außerhalb aller Kontrollmechanismen stehen. Dabei wären sie für Terroristen ideale Werkzeuge des Schreckens - klein, leicht zu transportieren und mit verheerender Wirkung. Auch hier zeigt sich, dass Atomwaffen heutzutage nicht mehr Sicherheit schaffen, sondern ein Risiko und eine Belastung darstellen. Kurz nach Ende des Kalten Krieges gab es zwischen den USA und RUS schon einmal Einvernehmen über weitgehende Reduzierungen bei den substrategischen Nuklearwaffen. Hier müssen wir wieder anknüpfen.  
Im multilateralen Bereich müssen wir das möglichst baldige Inkrafttreten des Atomteststopp-Vertrags (CTBT) erreichen. Präsident Obama hat dies zu einem zentralen Element seiner nuklearen Abrüstungsagenda gemacht. Wir Europäer, die wir uns seit langem für das völkerrechtlich bindende Verbot von Atomtests stark machen, müssen prüfen, wie wir diesen Prozess tatkräftig unterstützen können.  
Ein weiterer wichtiger Schritt im multilateralen Bereich, für den sich die EU seit langem einsetzt, ist ein Vertrag, der die Produktion von Spaltmaterial für Nuklearwaffen stoppt (FMCT). Ein solcher Vertrag - rechtlich bindend und überprüfbar - wäre ein klares Zeichen, dass die Ära der nuklearen Aufrüstung zu Ende geht. Seit dem Amtsantritt Obamas sind auch hier die Dinge in Bewegung gekommen. Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt hat sich die Genfer Abrüstungskonferenz (CD) wieder auf ein Arbeitsprogramm verständigen können, dessen zentrales Element die Aushandlung eines Produktionsverbots für Kernwaffen-Spaltmaterial ist. Bei der Ausgestaltung dieser Verhandlungen kommt der EU und insbesondere den beiden EU-Kernwaffenstaaten eine besondere Verantwortung zu. Mit dem Abbau seiner Produktionsanlagen für Spaltmaterial ist Frankreich hier erneut exemplarisch vorangegangen.  
Neben der militärischen Spaltmaterialproduktion müssen wir unsere Aufmerksamkeit auch der zivilen Produktion von Brennstoff für Kernkraftwerke zuwenden. Hier sind wir mit der Absicht vieler Staaten konfrontiert, vermehrt Kernenergie für die Sicherung ihrer Energieversorgung einzusetzen. Ich verweise auf die Diskussion gestern. Unabhängig davon, ob wir dies für eine langfristige und nachhaltige Lösung der Energieprobleme halten, ist dies ein im NVV verbrieftes legitimes Recht aller Staaten. Die Bestrebungen mancher Länder, einen eigenen Brennstoffkreislauf aufzubauen, schaffen jedoch zusätzliche Proliferationsrisiken. Denn wer Uran anreichern oder Plutonium wiederaufbereiten kann, für den ist der Weg zur Atombombe nur kurz. Wir brauchen multilaterale Lösungen für den nuklearen Brennstoffkreislauf, welche die Verbreitung sensitiver Technologien, die zur Herstellung von Atomwaffenmaterial geeignet sind, begrenzen und überprüfbar kontrollieren.  
Die EU hat daher - unter französischer Präsidentschaft - ihre Unterstützung für die Einrichtung eines Brennstoff-Reservelagers im Rahmen der IAEO erklärt und hierzu 25 Mio Euro bereitgestellt. Wir sehen dies als einen ersten wichtigen Schritt zur Schaffung einer breiten Angebotsarchitektur, die unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden muss. Deutschland hat hierzu einen weiteren Vorschlag unterbreitet. Eine internationale Anreicherungsanlage, betrieben durch interessierte Staaten unter IAEO-Kontrolle, ist aus unserer Sicht ein Weg, auf die kostspielige und proliferationsanfällige nationale Entwicklung von Anreicherungstechnologie zu verzichten.  
Diese und weitere Schritte müssen bei der NVV-Überprüfungskonferenz im nächsten Mai in ein konsensfähiges Gesamtpaket einfließen, das beide Seiten des Problems nuklearer Rüstungskontrolle - Abrüstung und Nichtverbreitung - angemessen reflektiert. Deutschland wird sich in enger Abstimmung mit Frankreich dafür einsetzen, dass die EU - wie schon während des Vorbereitungsprozesses zur Überprüfungskonferenz - 2010 einen wesentlichen Beitrag zur Konsensfindung leistet. Wie schon ausgeführt bin ich davon überzeugt, dass die EU hier eine maßgebliche Rolle spielen kann.  
Denn gerade wir in Europa haben schmerzhaft lernen müssen, dass Sicherheit in der heutigen Welt nur noch als gemeinsame Sicherheit vorstellbar ist. Darum darf es kein Gegenüber von NATO und Russland geben, sondern muss ein gemeinsames Oberkommando her.
Gerade wir in Europa waren jahrzehntelang während des Kalten Krieges der potenzielle Schauplatz eines nuklearen Schlagabtauschs der Supermächte und haben daher die Bedeutung von kooperativer Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung verinnerlicht. Erlers Konzept erreicht kaum die Höhe der Verabredungen des Völkerbundes und vernachlässigt die UNO als Beansprucherin des globalen Gewaltmonopols.
Gerade wir in Europa haben im Bereich der zivilen Nutzung der Atomenergie mit der Gründung von Euratom Pionierarbeit bei der Schaffung multilateraler Kontrollmechanismen geleistet. Schwallerei.
Deswegen sollten wir der Botschaft, die uns die neue US-Regierung sendet, auch eine selbstbewusste europäische Antwort geben und sie auf diese Weise unterstützen.  

[B]KOMMENTAR[/B]

Trotz einiger Übereinstimmungen ist Erlers Situationsanalyse in vielen Teilen unzureichend oder gar falsch:

[I][B]"Militärisches Gleichgewicht"[/B][/I]

Erler geht davon aus, dass eine atomare Abrüstung auf der Grundlage "militärischen Kräftegleichgewichts" möglich sei, aber solche Gleichgewichte sind immer rein spekulativ und willkürlich in ihren Gegenüberstellungen, zumal Allianzen variabel sind und sich stets auch die Frage nach Einbeziehung von mehr oder minder verbündeten Drittstaaten stellt, die ihr Hoheitsgebiet zur Waffenstationierung hergeben.

Militärische Gleichgewichte ließen und lassen sich ohnehin nie im Wege der Waffenquantitäten bemessen, zumal qualitative Merkmale häufig genug überwiegen können und ebenfalls in Bewegung sind, keine Feststellungsgrößen aufweisen, es sei denn, dass jede Waffenentwicklung der in den Kräftevergleich einbezogenen Staaten ihnen gemeinsam zugute käme. Eine konkurrierende Waffenentwicklung wäre folglich durch eine gemeinsame Waffenentwicklung zu ersetzen. Das ist nicht nur den Rüstungsindustrien eine absurde Vorstellung, sondern auch den gegenwärtigen Politikern und Militärstrategen, wäre aber die einzig VERNÜNFTIGE Konsequenz, wenn das "militärische Gleichgewicht" überhaupt eine vernünftige Sicherheitspolitik wäre. Das ist sie nicht, führt gleichwohl zu einzelnen Schlussfolgerungen, die für sich genommen sicherheitspolitisch Sinn machen würden, aber genau von den Akteuren nicht gewollt sind.

Erler weiß zwar um das Ende des Ost-Westkonflikts, zieht aber nicht die Schlussfolgerung, dass sich spätestens damit die Forderung nach "militärischen Gleichgewichten" erledigt.

[B]"Herunterstufung der Atomwaffen in der Sicherheitspolitik"[/B]

Erler erkennt zwar, wie wichtig es ist, die Bedeutung der Atomwaffen in den Verteidigungsstrategien runterzustufen, aber wer dies auf dem Wege konventioneller Hochrüstung erreichen will, änderte sein Denken nicht, denn Atomwaffen waren in den offiziellen Doktrinen stets als "letztes Mittel" propagiert. Und besonders die militärschwächeren Staaten dürften der Erler-Argumentation überhaupt keinen Anreiz haben, auf die Superwaffe zu verzichten.

Eine seriöse Herunterstufung der Atomwaffen kann nur dann Wirkung gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen haben, wenn ein Abkommen gewährleistet, dass "unter keinen Umständen" - eben auch nicht als "letztes Mittel" Atomwaffen in militärischen Konflikten zum Ersteinsatz gebracht werden, also ausdrücklich auch nicht in militärischen Konflikten mit Nichtatomwaffenstaaten. 

Erler scheint der Unterschied nicht bewusst, dass Militärstrategien neben der Konfliktvorbeugung eher vorrangig den Konfliktfall an sich behandeln. Folglich muss die Rolle der Atomwaffen für den Konfliktfall geregelt werden, wenn die Atomwaffen "heruntergestuft" werden sollen.

[B]Die Situationsanalyse ist falsch[/B]

Erler spricht die Atomprogramme Irans und Nordkoreas als Erosionsrisiko für den Atomwaffensperrvertrag an, aber das Drama solcher Entwicklung ist letztlich nicht neu, sondern begleitet die NVV-Politik seit Jahrzehnten, führte schon mehrfach an die Abgründe, als sich bspw. Indien und Pakistan mit Atomkriegen bedrohten.

Die Gefahr eines versehentlichen Atomkriegs ist ebenfalls nicht neu, sondern wurde zumeist nur verschwiegen.

Auch die Gefahr, dass Terroristen Atomwaffen habhaft werden, ist im Grunde genommen nicht neu, allenfalls in der Dimension verschlimmert - und es ist unverschämtes Glück, dass es noch nicht geschehen ist, denn das Risiko der  Herstellung "schmutziger Bomben" aus den inzwischen gigantischen Massen an Atommüll hat sich enorm erhöht.
UND jedes Atomkraftwerk ist im Konfliktfall oder im Fall eines terroristischen Angriffs eine "passive Atomwaffe".

[I][B]"Der lange Weg"[/B][/I]

Erler schwadroniert, dass der Weg zur Atomwaffenfreiheit ein langer sei, aber darauf kann nur erwidert werden, dass wenn dieses Ziel richtig und wichtig ist, die Geschwindigkeit erhöht werden müsste.

Atomwaffenpolitik         Atomwaffen       Friedensforschung      Dialog-Lexikon