Zum Antisemitismusvorwurf gegen Grass

K.. schrieb: "Grass war letztlich ein offen bekennender Antisemit mit Nobelpreis ...  "  

Lieber @K., die Meinungsfreiheit in Ehren, aber niemand ist irgendetwas "offen bekennend" schon deshalb, weil ihn jemand dafür hält. 

Wir unterstellen doch auch niemandem Geständnisse, wenn es daran fehlt. Mit Bekenntnissen darf es nicht anders sein. 

Ohne Geständnis, Bekenntnis, ohne explizites Stereotyp können wir beide nicht wissen, ob er Antisemit war oder der Israelkritiker, als der er in Erscheinung trat, wozu sich auch viele aufrechte Juden und Israelis bekennen - und deshalb nicht als antisemitisch oder antiisraelisch bezeichnet werden sollten. Denn zwischen Kritik und Feindschaft können Welten liegen, auch wenn es oft Gratwanderung ist oder als solche erscheint, weil die Kritik nicht gefällt, wenn man geneigt ist, alles dem Feind Nützliche für Feindschaft zu halten, als habe die Kritik und Selbstkritik in Konflikten zu verstummen.

Der satirische Nachruf von Hans Zippert in der WELT ist ein Grusel und macht dem Henri-Nannen.Preis (2007) keine Ehre, sondern eher der Menschenverachtung in schlimmer Propagandatradition. Es ist eben längst nicht immer alles gleich schon deshalb gut oder richtig, wenn es gegen Antisemitismus beflaggt, denn ohne Prinzipien herrscht nur der Wind. 

K.. schrieb: "Im Gegenteil, er ist einer von dem Zvi Rex (jüd. Psychoanalytiker) mal so trefflich formulierte: "Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen."" 

Als ich das erste Mal "Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen" hörte, war ich davon sehr angetan, aber der Satz ist eine Polemik und falsch, denn "viele Deutsche" müsste es heißen, doch "die Deutschen" gab es so nicht und wird es so auch nie geben. 

Wir lehnen es mit besten Begründungen ab, dass so über "die Deutschen" oder auch über "die Juden" gedacht oder gesagt wird. 

Und jedes Mal müsste das Blut in den Adern gefrieren, wenn trotz Auschwitz zwischen Deutschen und Juden unterschieden wird, denn das war der geistige Weg auch in den Holocaust.

Markus S. Rabanus 2015-04-30


Mein Posting v. 5.4.2012 im SPIEGEL-Forum


+++++++++ NICHT VERÖFFENTLICHT, aber einige Gedanken könnten Sinn machen +++++++++ 

Grass holpriges Gedicht "Was gesagt werden muss" darf verdächtig sein, denn vielen Heuchlern entgegen bin ich Freund des Anfangsverdachts, sogar des Vorurteils, allerdings im Bewusstsein des oft diametralen Unterschieds zwischen Vorurteil und Urteil nach gründlicher Prüfung, auch aller Entlastungsmomente, auch meines Kontextes als Betrachter. 
Und "Im Zweifel für den Angeklagten", weil es besser ist, ein Unrecht ohne Urteil zu belassen als in der Gewissheit des Zweifels Unrecht zu begehen. - Auch das sehen viele anders, erst recht, wenn es um Feinde geht, als dürfe man sie mit Urteilen beliebiger Art überhäufen, um sie zu Fall zu bringen, während es richtiger ist, wie schon oft gesagt, dass besonders gegenüber Feinden mehr Gerechtigkeit sein muss als gegenüber Freunden, denn von Freunden erwarte ich, dass sie verzeihen.

Auf die Unterscheidung zwischen latentem Antisemitismus und Antisemitismus gehe ich auf Nachfrage ein, aber mir scheint sie in diesem Fall nicht so wichtig, denn uns Betrachtenden und dem Betrachteten wiegt er vermutlich auch schon latenter Vorwurf hinreichend schwer. 

Kann die Kritik an Israel wegen Atomwaffenbesitzes "Antismetismus" sein? Aber klar kann es das, aber ebenso klar auch nicht. 
Beides bedarf der präzisen Begründung, sonst lassen wir es besser weg, denn so ernst uns der Antisemitismus ist, so wenig oberflächlich dürfen wir sein, wenn es über Verdächtigung hinausgeht und zum Bruch führt. 

Antisemitismus wäre unzweifelhaft demjenigen vorzuwerfen, wem Israel keine Atomwaffen haben dürfte, während es den Gegnern Israels zugebilligt würde. Das vermag ich Grass nicht zuzutrauen. 

Kann es Antisemitismus sein, wenn jemand mangelnde Empathie für jüdische Traumata zeigt? Auch das kann sein, aber oft ist nur individuelles Unvermögen, sich ein Bild davon zu machen oder zeigen zu lassen. fehlende Phantasie, fehlende Mut, sich auf solche Qualen auch nur vorstellungsweise einzulassen, nur blödes Unvermögen für die Opferperspektive, zumal die oft genug verklärt wird mit Begriffen, die zwar gut gemeint die NS-Verbrechen verteufeln wollen, aber nicht zum Verständnis der "Banalität des Bösen" beitrragen, denn mit erklärten und/oder geklärten Motiven, wie es Hannah Arendt aufzuarbeiten versuchte und am Widerstand aus den eigenen Reihen scheiterte - an der Banalität des Guten.

 



Kann die Kritik an israelischer Landnahme in Palästinensergebieten 

Deutschland hat Wiedergutmachungspflicht, obgleich es keine Kollektivschuld geben kann, aber es unserem Rechtsverständnis entspricht, dass die Vertretenen für ihre Vertreter haften, ob nun schön oder ungerecht für den Einzelnen. An solcher Ungerechtigkeit lässt sich m.E. auch nichts ändern.

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Wenn Antisemtismusvorwürfe, dann haben wir die Motive zu prüfen, die sich uns nur oberflächlich zeigen. Käme es ausschließlich darauf an, ob sich eine Äußerung antisemitisch auswirken könne, so kann allenfalls Antisemitismus-Verdacht sein, aber doch längst nicht erwiesen, ansonsten wäre auch ein Netanjahu des Antisemitismus verdächtigt, den er laufend schürt. 

Aber der Blick in die Geister ist mir verwehrt, verbleibt an der Oberfläche des davon gezeigten. 

Trotzdem bleibt alles stets im Kontext auch des Betrachters, des Selbstverständnisses, welches Mosaik aus so vielem ist, aus oft vagen Vermutungen, den eigenen und Vermutungen anderer, denn deren Bild von uns, das nicht unberührt lässt. Im Idealfall ist das alles einbezogenn, aber das schaffen wir nicht, sondern möchten und dürfen auf unsere Urteilskraft vertrauen, zumal wenn der Kontext die Gegenrede ermöglicht. Das war nicht immer so in Deutschland. Und ist es auch heute nirgends, wenn der Zuspruch wichtiger als die Aufrichtigkeit sein dürfte. Aber das darf nicht, so bequem es auch wäre. Der Luxus der eigenen Meinung ist Hochgenuss, soll dennoch bewusst sein und es kann sogar die Befürchtung trösten, dass die vielen anderen vielleicht doch nicht die Geisterfahrer sind, denn dann wäre die Realität weniger schlimm als mitunter vorgestellt. Nur ist deshalb so wichtig, dass der Meinungsstreit nicht entgleitet in  Feindseligkeit. 

Die Toten sind tot. Und können sich nicht wehren. Wir müssen gut überlegen, ob wir treten. 


Ich erwäge Antisemitismus - in allen Fällen von Israelkritik, gerade weil ich selbst scharfe Kritik an Israel übe, die auf keinen Fall antisemitisch aufgefasst oder antisemitisch ausgenutzt werden soll. 

Darum teste ich Formulierungen mehrfach, überlege Unterschiede, die wichtig sein könnten: 
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Ich entnahm seinem "Gedicht" zwar die Gebrechlichkeit derer, die sich mit Auschwitz verstrickt erkennen, bekennen und holpern im Umgang mit Israel, als sei nach Auschwitz zweierlei Maß obligatorisch, wer heimlich Atomwaffen hat und wer nicht darf. Aber das ist mir kein Antisemitismus, auch kein latenter Antisemitismus.

Grass als latenter Antisemit ob seiner holprigen Kritik an Israel? - Wenn es schwierig, streitig oder gar kriegerisch wird, braucht es Prinzipien - und immer auch Ausnahmen, was die Sache noch komplizierter macht, aber zu beginnen ist mit Arbeit an Prinzipien, zunächst zwei fallen ein: 
1. Allen Heuchlern entgegen sollten wir Freund des Anfangsverdachts, sogar des Vorurteils sein, allerdings im Bewusstsein des oft diametralen Unterschieds zwischen Vorurteil und Urteil. 
2. Wir sollten "Im Zweifel für den Angeklagten" plädieren, weil es besser ist, ein Unrecht ohne Urteil zu belassen als in der Gewissheit des Zweifels Unrecht zu begehen. - Auch das sehen viele anders, erst recht, wenn es um Feinde geht, als dürfe man sie mit Urteilen beliebiger Art überhäufen, um sie zu Fall zu bringen, während es richtiger ist, wie schon oft gesagt, dass besonders gegenüber Feinden mehr Gerechtigkeit sein muss als gegenüber Freunden, denn von Freunden erwarte ich, dass sie verzeihen.

Das wende man nun an auf Günter Grass an. Der Anfangsverdacht: Bei jeder Kritik an Israel muss Prüfroutine sein, ob Antisemitismus involviert ist, denn davon hängt Sachlichkeit ab. Seine Kritik hatte zum Gegenstand, dass der heimlichen Atommacht Israel kein Recht gewährt werden dürfe, nun schon seit Jahrzehnten dem atomar verdächtigen Iran den Krieg zu machen, wie es israelische Politiker nun schon seit Jahrzehnten stets mit der Drohung es selbst zu tun, von anderen Staaten fordern. 
Und das auf dem Hintergrund, dass israelische Regierungen desgleichen auch gegen Saddam Hussein forderten und sich daran begeisterten, dass George W. Bush mit falschen Beweisen, für die sich Jahre später ein US-Außenminister öffentlich schämte, diesen völkerrechtswidrigen Krieg begann und ein gewiss unliebsames Regime abservierte, aber auch ein Land so sehr ins Chaos stürzte, dass niemand von uns dort leben möchte.

Bei jeder Fürsprache isralischer Politik gehört zur Prüfroutine, ob sie  

Ziemlich konkret daran, dass eine heimliche Atomwaffenmacht, auch wenn sie Israel ist, nicht das Recht haben kann,  


Ich bin anderer Auffassung. 
Hat Israel oder irgendein anderes Land das Recht auf Atomwaffen als letztes Recht zur Verteidigung? Dann dürften wir es niemandem verwehren. 
Ist Israel zu machen wegen des Holocaust? Auch nicht, denn Traumata können erklären, oft sogar entschulden, aber nichts rechtfertigen. 
Schon gar nicht im Umgang mit zweierlei Maß, wie es die Atomwaffenmächte praktizieren, von denen immerhin die Unterzeichnerstaaten des Atomwaffensperrvertrags in dessen Artikel 6 dieses Zweiklassenregime zu beenden versprachen, wenngleich sie dieses Versprechen seit Jahrzehnten durch Atomwaffenmodernisierung brechen.

Hat Israel das Recht auf Atomwaffen? Nein. Auch nicht aus der Shoa. 

Als wenn Japan ein Recht auf Atomwaffen habe, weil von Atomwaffen betroffen, 


Antisemitismus   Grass  

Ich brauche keinen Augstein, denn da ist mir vieles zu flach, aber wenn ich Vorwürfen gegen ihn nachgehe, dann ist mir ähnliche Trauer, denn auch "linke Netanjahu-Gegner" genügen nicht zum Beweis irgendeiner Richtigkeit, sondern bloß zum Nachweis, dass sich viele Standpunkte verpakten, ob tunlich oder nicht.
Aus meiner Perspektive anders: Mir hat jeder vernünftige und unvernünftige Mensch Grund zur Furcht vor iranischen Atomwaffen, denn auch ich traue den selbsternannten Gottesvollstreckern Teherans nicht, aber genau deshalb braucht es Kontrolle und Verträge, die Kontrolle ermöglichen, während Netanjahu oft genug seine Macht daraus hat, dass er nahezu jedes Verhandeln mit Feinden Israels als Verrat an Israel denunziert und oft genug mit Krieg droht, obgleich ihm damit ohne Washingtons Rückhalt nicht ernst sein kann, denn es gibt meines Wissens für militärisches Vorgehen aus dem israelischen Militär bislang nur Widerspruch - und politisch weniger von Bedeutung auch von mir, nicht nur militärisch betrachtet, sondern auch völkerrechtlich und letztlich auch politisch. Jedes davon lässt sich gesondert erörtern, wie sie leider unseren Politikern und auch vielen Menschen auseinanderlaufen und deshalb Realität sind.


@Alexandra, du meinst, es genüge zu Netanjahus Politik, dass niemand beweisen könne, der Iran habe keine Atomwaffen? 

Genau deshalb will Obama einen Vertrag, der Kontrolle ermöglicht, denn was mit dem Irak geschah, war ein schlimmer Betrug, war völkerrechtswidrig und eines der großen Menschheitsverbrechen des jungen Jahrtausends. 
Und auch das wurde von übereifrigen Israelverteidigern verlangt und begrüßt. Das darf sich nicht wiederholen. Falls doch, dann war ich wieder dagegen. 

Du glaubst an die Bombe, dass sie Israel den Frieden sichere, indem sie abschrecke?
Ist das der Bedeutung solcher Probleme angemessen durchdacht? Dann müsstest du glauben, dass die selbsternannten Gottesvollstrecker Teherans oder des IS rational genug seien und sich atomar "abschrecken" lassen, aber ich halte für hinreichend wahrscheinlich, dass sich Extremisten, religiös Verpeilte oder irgendwelche Hitler durch rein gar nichts abschrecken lassen, vielleicht überhaupt kaum jemandem, wenn das eigene Leben auf dem Spiele steht und einem Nachwelt spätestens dann . Stattdessen provoziert schon die Existenz einer einzigen Atombombe, dass sämtliche Schurken der Welt von solcher Superwaffe träumen und danach streben. 
Tief und tiefer unter der Erde, denn Israel steht dem Iran im Verdacht, dass oberirdisch nichts sicher sei, weil Israel tatsächlich so oft das Völkerrecht nach eigenem Gutdünken auslegt und das Recht auf Selbstverteidigung auf Präventivschläge ausdehnte, ohne sich dazu vom Weltsicherheitsrat legitimieren zu lassen.

aber falsch - und das wollte ich zeigen, dass auf keinen Fall in beide Waagschalen des Rechts Unrecht kommen dürfen - und Unrecht gegeneinander abwogen, sondern stattdessen jedes Unrecht für sich in der einen Waagschale aufgewogen gegen das allgemein verbindliche Recht in der anderen Waagschale. Nur so funktioniert die Waagschale des Rechts, während wenn in beiden Waagschalen Unrecht liegt, sich bloß die gewichtigere Selbstjustiz ermitteln lässt, nicht das Recht.


@Otmar, in anderen Punkten stimme ich dir zu, insbesondere die Begründetheit der Forderung nach einer Atomwaffenfreie Zone betreffend. Auch solche Regionalabkommen sieht der Atomwaffensperrvertrag vor, Art.

in seinem Artikel
In einem ganz wichtigen Punkt muss jedoch noch Widerspruch nachtragen sein, was die UNO bzw. genauer den Weltsicherheitsrat anbetrifft,
Der Weltsicherheitsrat hat keine spezielle Zuständigkeit

ist einerseits nicht Vollstrecker des Atomwaffensperrvertrags, sondern kann es , es hat kaum Belang für die Frage der Zuständi