Sicherheit jüdischer Einrichtungen

Hallo DellaRocco,

oft fragte ich aktive und ehemalige Rechtsextremisten, was sie empfinden, wenn sie die Synagoge in der Oranienburger Straße so augenfällig bewacht sehen.

Durch die Bank entsprachen die Antworten meinen Erwartungen, dass Rechtsextremisten die Sicherheitsvorkehrung einerseits als "befriedigend" empfinden, weil sie sich "ernstgenommen" fühlen, 
zugleich aber aber darin eine Bestätigung für den von ihnen geglaubten "jüdischen Einfluss auf den Staat" sehen, der ihren antisemitischen Hass noch schürt und den "stillen Wunsch", diese Sicherheitsvorkehrungen zu überwinden.

Jedenfalls eines bewirkt der Aufwand bei all diesen mal dumpfen, mal subtileren Rechtsextremisten nicht: dass ihnen a) die Panzer zum Menschenschutz so peinlich wären wie sie normalen Bürgern sind, b) dass sie gegen die Ausgetickten in ihren Reihen vorgehen würden. 

Stattdessen möchten sie es kleinreden und würden am liebsten ganze Panzer-Bataillone vor jüdischen Einrichtungen stehen sehen.

Diesen "Gefallen" würde ich deshalb den Extremisten nicht tun, denn so veranstaltet man nur ein "Wettrüsten gegen den Hass", was die Sicherheit nicht wirklich erhöht. 

Ich würde also gerade solche exponierten und symbolgewichtigen Stätten des Judentums NICHT mit auffälligen Panzern zuparken, sondern gewiss auch teurere Sicherheit realisieren, vor allem jedoch vielen der so munter antisemitisch vor sich hin tickenden 
Zeitbomben strafrechtlich nachstellen, ehe sie "austicken".

Der Terrorismus, sofern nicht als "Terror-Tourismus" auftretend, gehört innenpolitisch eingedämmt: die Strafverfolgung effektivieren, wozu die Polizei besser ausgerüstet und ausgebildet werden muss. Auch die Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen da noch lernen und können es nur, wenn sie von Antifaschisten dazu veranlasst werden.

Aber daran fehlt es häufig - an dem Engagement von Seiten des Bürgers, der tatsächlich nur aus dem Sessel heraus kommt, wenn es mal wieder gebrannt hat, während man zuschaut, wie sich Rechtsextremisten und Hass in aller Öffentlichkeit zur Schau stellen und Minderheiten in ihrer Sicherheit und Freiheit verletzen.



Dass sich solche Leute dann irgendwann auf die Reise zu jüdischen Friedhöfen oder nach München und Berlin machen, kann nur denjenigen wundern, der genügend weggeschaut hat und den Hass ignoriert, weil er davon nicht betroffen ist.

Dieser Terrorismus gegen das jüdische Leben nimmt ab, nimmt zu im Gefolge der Antisemitismus-Konjunktur und diese steht wiederum im Gefolge von wirtschaftlichen und politischen Krisen, für die Nationalisten stets "Fremdes" verantwortlich machen. 
Der Nahost-Konflikt tut sein Übriges dazu und erhöht die Terrorgefahr für jüdische Einrichtungen auch in Deutschland.

Wer einen Nazi als "gleichberechtigt" duldet, obwohl Nationalismus und Rassismus die Gleichberechtigung Menschen pauschal bestreiten, der ist durch seine Untätigkeit mitverantwortlich für die Umtriebe von Nazis.

Ich kann Euch nur sagen: Wer hier durch unsere Straße geht und tut sich mit Hass-Parolen hervor, der hat die komplette Nachbarschaft sofort auf dem Hals. Ob ich da bin oder nicht. Das mussten die Leute hier erst lernen und hatten es sogar noch nicht gelernt, als vor Jahren ein Brite vor der Eckkneipe von Rechtsextremisten den Schädel gebrochen bekam, was erst viel später mit diesem Hintergrund in den Zeitungen stand.

Gelernt haben die Nachbarn durch andere Dinge. Durch intensives Gespräch UND durch das "Vorführen" von Nazis, wie sie sind, wenn man sie "anspricht", weil sie zum Beispiel die Nachtruhe stören.

Auch in Brandenburgs Wendisch-Rietz war es nicht anders, als dort aus einer Diskothek heraus ein Schwarzer verfolgt und im Scharmützelsee ertränkt wurde. Die örtlichen Medien spielten das herunter, auch die ehemaligen "Genossen", weil der Streit seinen Ausgang um ein Mädchen nahm. Aber niemals wäre es zum Mord gekommen ohne den fremdenfeindlichen Hintergrund dieser rechtsextremistischen Täter, denn Hass tötet.

Leider fehlt mir die Zeit, dort jetzt nachzuhaken, zu fragen, ob es in Wendisch-Rietz noch Jugendliche gibt, die trotzdem noch Hassgesänge schwingen. Ich kann hoffen, dass es dort Menschen gibt, die aufräumen und nicht kuschen vor diesen doch wirklich feigen Gestalten mit ihrer feigen Untertanen-Ideologie, die auf Schwache trampelt und das Schwache gering schätzt.

Das Jüdische ist im Grunde genommen ohne jede "Besonderheit", aber steht diesen Hassern symbolisch und in Tradition für all ihre Feindschaft gegen die Menschlichkeit. 

Wir wiederum sollten das jüdische Leben genau aus diesem Grund besonders schützen. Und Angreifern ganz unduldsam begegnen.

All das hat überhaupt nichts mit Israel zu tun, dessen politischen Kurs im Nahost-Konflikt kaum weniger verurteile als denjenigen von denen, die Selbstmordattentäter losschicken oder dulden, ansonsten müsste ich fordern, dass man die Hütten von Familien, deren Mitglieder Nazis sind, niederbrennt, aber da würde ich eben wieder eher die Feuer löschen, weil es die Familien allein nur selten in der Hand haben, was aus ihren Kindern wird. Wir müssen insgesamt die Verantwortung erhöhen und Barrieren gegen den Hass errichten. 

Übrigens auch gegen den eigenen, wenn er auftritt, wozu es in unserem Verlag häufig Veranlassung gibt, denn die Angriffe gegen unsere Projekte sind manchmal schon arg. Aber mit Hass lässt sich das nicht bewirken, was wir versuchen: im Dialog die Grenzen zu klären, deren Einhaltung es in einer zivilen Gesellschaft bedarf.

Und auch wenn das misslingt, darf nicht Hass das Handeln motivieren, wie ich es schon oft bei antifaschistischen Aktionen erlebte, sondern rechtsstaatliche Prävention und Repression. 

Aber davon wollen eben leider auch manche Antifaschisten nichts hören, weil sie sich einbilden, dass der "Kampf" auf der Straße geführt werden müsse und mit Gewalt anstatt mit Gesetz und Polizei. Doch dadurch verliert allein die zivile Gesellschaft.

Um keinen Rechtsextremisten darf die Gesellschaft einen Bogen machen, sondern muss ihn als das anfassen, was er ist: den Feind eben des Friedens und jedermanns Freiheit. Ganz zart aus den Stiefeln holen, aus den ideologischen Stiefeln. Und erforderlichenfalls hart. Man muss dazu mitunter auch provozieren. Damit einer zutritt, damit man danach legitimiert ist, seine Stiefel zu fordern:-)

Und das schadet niemandem. Auch den Rechtsextremisten nicht. Nie war mir einer dauerhaft böse, wenn ich ihn notfalls zwang.

Auch hier in der Straße nicht. Da werde ich fröhlich von einem begrüßt, der noch vor fünf Jahren andauernd mit fast jedem in Streit geriet.

Grüße von Sven
Redaktion

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