Ossietzky zum Pazifismus
Der deutsche Pazifismus war immer illusionär, verschwärmt, gesinnungsbesessen, argwöhnisch gegenüber den Mitteln der Politik, argwöhnisch
Der Pazifismus Herriots und MacDonalds ist politisch, das heißt real fundiert, beweglich und deshalb auch bewegend. Er arbeitet mit den Mitteln der Politik. Der deutsche Pazifismus war immer illusionär, verschwärmt, gesinnungsbesessen, argwöhnisch gegenüber den Mitteln der Politik, argwöhnisch gegen die Führer, die sich dieser Mittel bedienten. Er war Weltanschauung, Religion, Dogmatik, ohne daß sich etwas davon jemals in Energie umgesetzt hätte. Deshalb mochte es ihm zwar gelegentlich gelingen, ein paar Parolen populär zu machen, Versammlungserfolge zu erzielen, organisatorisch hat er niemals die Massen erfaßt. Das Volk blieb immer beiseite.
Der organisierte Pazifismus blieb immer eine sehr rechtgläubige Sekte, ohne federnde Kraft, eine etwas esoterische Angelegenheit, an der die Politik vorüberging, wie sie die Politik ignorierte.
Es ist wahrscheinlich das Schicksal der Bewegung gewesen, daß ihr Ausgangspunkt war der larmoyante Roman einer sehr feinfühligen und sehr weltfremden Frau. Das übergewöhnliche und reine Wollen der Suttner in allen Ehren, aber sie fand für die Idee keine stärkere Ausdrucksform als die Wehleidigkeit. Sie kämpfte mit Weihwasser gegen Kanonen, sie adorierte mit rührender Kindlichkeit Verträge und Institutionen – eine Priesterin des Gemütes, die den Königen und Staatsmännern ins Gewissen redete und die halbe Aufgabe als gelöst ansah, wenn sie freundlicher Zustimmung begegnete. Und wer konnte dieser milden, gütigen Dame anders begegnen? Wie so viele Frauen, die aus reiner Weiberseele für die Verwirklichung eines Gedankens kämpfen, der männliche Spannkraft und ungetrübten Tatsachenblick erfordert, glitt sie ins Chimärische, glaubte bekehrt zu haben, wo sie ein paar Krokodilstränen entlockt hatte, blieb sie im Äußerlichen haften, anstatt bis zum Sinn vorzustoßen, und streifte sie in der Art sich zu geben, da ihr die prägnante Form mangelte, schließlich den Kitsch. So war um die »Friedensbertha« allmählich ein sanftes Aroma von Lächerlichkeit, und dieses Aroma ist der deutschen Friedensbewegung unglücklicherweise geblieben bis zum heutigen Tag. Und es hat nach außen hin so stark gewirkt, daß auch die tüchtigsten und bedeutendsten Männer es nicht haben beseitigen können. Der Pazifismus trug für die Menge stets das Cachet des Exklusiven, ärger noch, des Unmännlichen.
Dabei ist die Methode des sanften Girrens um die Gunst der Großen längst vorüber. Die Sentimentalität von einst ist robustem Deklamatorentum gewichen, die freundliche Predigt der Suttner den haßerfüllten Expektorationen wilder Männer. Dazu sind gestoßen Fanatiker und Sektierer aller Art, Projektenmacher mit dem Kardinalrezept für alle Weltübel, Allerweltsreformer, die das Fleisch verabscheuen, infolgedessen auch Muskelkraft und alles Maskuline überhaupt; sie zeugen ihre Kinder, wenn es schon mal nicht anders geht, dann wenigstens mit ausgesprochener Unlust und möchten die ganze Menschheit am liebsten auf Kohlrabi-Diät festlegen. Die Politiker sind zwischen Querulanten und wunderlichen Heiligen in der Minderzahl.
Sie haben das Ihrige getan, aber es ist ihnen bisher nicht gelungen, die Bewegung als solche an den Realitäten zu orientieren. V Und da gerade liegt das Entscheidende: der Pazifismus muß politisch werden, und nur politisch. Die notwendigste Idee unserer Zeit darf nicht zum Steckenpferd kleiner Prinzipienjockeys werden. Der Weg zum Volk muß gefunden werden, damit das deutsche Volk endlich wieder den Weg zu den Völkern findet. Ein Beweis auch für die Schwerfälligkeit, für den Mangel an Aktualitätsgefühl bei den Einberufern des Kongresses, die überladene, grausam theoretisch befrachtete Tagesordnung. Paneuropa, Schulreform, Wesentliches und Unwesentliches bunt durcheinander. Ich verkenne bei aller kritischen Einstellung nicht, was dennoch von pazifistischer Seite bisher geleistet wurde. Der stellenweise Durchbruch der deutschen Selbstzernierung in den letzten Jahren, er bleibt das Verdienst von Persönlichkeiten wie Quidde, Gerlach, Kessler. Kein vernünftiger Mensch zweifelt daran, daß Deutschlands Anschluß an die demokratische Welt nur erfolgen kann im Zeichen des Pazifismus. Das aber heißt auch, den Geist dieser Bewegung fähig zu machen zu dieser Aufgabe.
Das alles mag für einen Gruß an eine Sache, die man liebt, etwas kratzbürstig klingen. Ich habe als Pazifist zu Pazifisten gesprochen, getrieben von dem Wunsch, beizutragen zur endgültigen Freimachung der Kräfte, die diese wirklich erhabene Sache zu ihrem Siege braucht. Und diese Kräfte sind heute noch gehemmt durch schädliches und lächerliches Beiwerk und durch die Überbleibsel einer Vergangenheit, gestorben an dem Tage, da der große Krieg begann.
Das Tage-Buch, 4. Oktober 1924
Carl von Ossietzky, Ein Lesebuch für unsere Zeit (German Edition) (S.37 ff.). Projekt Gutenberg-DE
Ja, so sehe ich das auch. - Markus S. Rabanus
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