"Neue Dimension"
Ich werde die BpB anschreiben und bitten, nicht mehr von "neuer Dimension" zu reden oder genauer zu sein, denn "neu" ist allenfalls, dass breiteste Öffentlichkeit Kenntnis erlangte, in welchem Umfang der Verfassungsschutz nicht bloß versagte, sondern falsche Spielchen treibt.
Überhaupt keine "neue Dimension" ist das Vorhandensein rechtsterroristischer Untergrundorganisationenen. Jedenfalls gegen Juden, Sinti und Roma, Schwarze, jahrzehntelang auch gegen Türken, stets gegen Linke und jeden, der sich des Themas auf qualifizierte Weise annahm, also nicht mit Lichterketten, sondern aufdeckend.
Solcher Terrorismus war in beiden Telien Deutschlands über Jahrzehnte hinweg stereotyp klein geredet - "Einzeltäter" oder wie auch jetzt "NSU-Trio".
Zwei Motive für das Kleinreden:
1. Beide deutsche Staaten konnten sich optisch nicht leisten, mit einem
"Rechsextremismus-Problem" in Erscheinung zu treten.
2. Im Kalten Krieg sahen westliche Politiker in Rechtsextremisten praktische
Partner gegen Linkes. Ich erlebte es persönlich, wie Polizei und Justiz nach
Anschlägen gegen Linke verdächtige Rechtsextremisten unbehelligt ließ und
nicht müde wurde, zu spekulieren, dass die "Linke ja nicht besser
sei".
Unsägliches Versagen in der Fallbearbeitung.
Im Kalten Krieg durfte es für die DDR Rechtsextremismus nur im Westen geben.
Das Oktoberfestattentat 1980 mit 13 Toten und über 200 Verletzten und
Schwerverletzten machte Schlagzeilen und deutete an, was es an
rechtsextremistischen Untergrundaktivitäten gab, aber nicht konsequent
ermittelt oder gar geoutet wurde, denn die Verstrickungen waren weit in viele
Geheimdienst- und Nato-Kreise - für den "Ernstfall", "dass die
Russen einmarschieren".
Aber das Oktoberfestattentat war tatsächlich singulär,. weil auch in der
rechtsterroristischen Szene umstritten, während der Terror gegen Einzelpersonen
Permantanliegen solcher Kreise ist - und eine hohe Dunkelziffer haben dürfte,
weil in einer Weise "verfolgt", wie am "NSU" zu sehen.
Allein gegen mich gab es wegen meiner exponierten Studentenpolitik in den
Achtzigern mehrere Anschläge. Es ließen sich Bücher darüber schreiben, wie
umfassend das "Staatsversagen" war, aber in Wahrheit war es kein
"Staatsversagen"; sondern gewollte Verweigerung des Staates, denn
durch einen Prozess 1995 vor dem Moabiter Strafgericht gegen einen Kommilitonen
von mir stellte sich heraus, dass mich mein Staat heimlich über viele Jahre
für einen "linksextremistischen Verfassungsfeind" hielt und bis ins
Private "beobachten" ließ.
Zum Strafprozess kam es delikaterweise nur deshalb, weil dieser VS-Spitzel
zugleich für die Stasi "gearbeitet" hatte.
Ich hatte bei den Anschlägen Glück und auch nie Lust, gegen mein Land eine
Welle zu machen, denn immerhin wurde kritischen Menschen in der DDR weit, weit
schlimmer mitgespielt - und wichtiger war mir ohnehin, dass wir aus dem Kalten
Krieg raus kamen, denn ich befand ihn gefährlicher - einschließlich der bis
heute gütligen gegenseitigen "Abschreckungsdoktrin".
Kurzum: Der NSU steht nicht für eine "neue Dimension". Wie nebenbei angemerkt auch die G20-Krawalle keine "neue Dimension" darstellten, denn es gab weit schlimmere Krawalle im Berlin der Achtziger und Neunziger. Und auch der "Schwarze Block" scheint mir früher deutlich größer gewesen zu sein.
Warum ist dann also immer von "neuer Dimension" die Rede?
a) Weil sich Politik entweder wichtig tun will, eine "neue" Gefahr
erkannt zu haben, die insbesondere vom politischen Rivalen
"unterschätzt" werde,
b) Und wenn etwas nicht "neu" wäre, dann die Politik in
unverzeihlicherer Weise eigene Versäumnisse einräumen müsste. - Dieses
Phänomen findet sich nicht bloß in Extremismusproblemen, sondern hat
universelle "Dimension", wenn dann doch mal ein Super-GAU passiert,
"den es nach menschlichem Ermessen eigentlich gar nicht hätte geben
dürfen" usw., als hätten nie qualifizierte Stimmen auf die Risiken
hingewiesen, die deshalb aus sicherheitsrelevanten Kontrollfunktionen als
"unzuverlässig" entfernt wurden, weil als "zuverlässig"
gilt, wer die Bedenken für sich behält.
Wir haben bislang viel, viel Glück. Auch hinsichtlich eines versehentlichen Atomkriegs.
Bitte künftig genau überlegen, wenn von "neuer Dimension" die Rede ist.
Soweit. Schönes Wochenende wünschend und LG
Markus S. Rabanus 20170722