von Sven
Redaktion am 15.Dec.2002 15:57
Hallo AOW,
na, warum sollten wir Dich denn "prinzipiell nicht verstehen
wollen"?
Ich habe jedoch "prinzipiell" etwas gegen falsche Vergleiche
- und das war Dir m.E. hinreichend von Martin dargelegt, so dass Deine
auf den ersten Blick als "begriffliche Unbefangenheit"
weniger auf Gedankenlosigkeit als auf antisemitische Befangenheit
schließen ließ.
Mit explizitem NS-Jargon bringst Du Dich gewollt oder ungewollt über
eine etwaig gerechtfertigte Israel-Kritik hinaus in einen
Antisemitismus-Verdacht, was Antisemiten typischerweise für ungerecht
halten, wenn man ihnen das Selbstmitleid als Feindschaft aufdeckt.
Deine Frage nach unserer Position zur israelischen Politik kann Dir
schon deshalb nicht einheitlich beantwortet werden, weil es dazu bei
uns nur Dialog und keine Abstimmungen gibt.
Zumindest aber meine Position ist auf der WebSite dargelegt. Dann lies
sie mal nach.
Neben dem NS-Sprachgebrauch, mit dem Du nach Treffsicherheit zu suchen
vorgibst, kritisiere ich an Deinen Postings die allzu nebulöse
Beurteilung jener Gewalt, der sich Israel ausgesetzt sieht.
Beispielsweise sprichst Du von "fragwürdigen
Verteidigungsmethoden der Palästinenser", während Dir ohne
Probleme einsichtig sein dürfte, dass die gezielte Tötung von
Zivilisten unentschuldbar ist. Hättest Du beruflich, familiär oder
sonstig zivil in Israel zu tun, würde Dir die verbrecherische Qualität
der "Selbstmord-Attentate" sicherlich weniger "fragwürdig"
sein.
Und dieser Terrorismus ist auch nicht als unvermeidliches Hobby von
Minderjährigen anzusehen, sondern steht für die skrupellose
Ausnutzung jugendlicher Unreife zum Mord, wenn die Täter als
"Martyrer" verheizt und gefeiert werden.
Sharon wird mir durch den palästinensischen Terror keineswegs zum
Friedensengel. Er trägt einen Großteil der Mitverantwortung für das
im Nahen Osten herrschende Niveau der Gewalt. Aber keine
"Mitverantwortung" entschuldet die jeweils andere Seite.
Die Palästinenser haben das durch die UNO verbürgte Recht auf einen
souveränen Staat. Die Israelis haben dieses Recht ebenfalls. Beide
Seiten bestreiten sich dieses Recht auf blutige Weise. Es fehlt ihnen
an gegenseitigem Vertrauen. Und das Vertrauen wird sich mit
umherpfeifenden Kugeln nicht herstellen lassen.
Im Gegensatz zu Dir hatte ich das Vergnügen, Herrn Arafat zu
knutschen, aber seine prinzipielle und mir seit Mitte der achtziger
Jahre glaubhafte Befürwortung staatlicher Koexistenz blieb in seinem
politischen Handeln ohne die dazu erforderliche Konsequenz in den
eigenen Reihen.
Ich denke, er würde seit langem liebend gern auf Uniform und deftige
Sprüche verzichten, viel lieber einem Palästinenser-Staat den Präsident spielen,
auch wenn dieser Staat recht klein wäre. Aber es fehlt ihm das
Konzept zum Zivilen.
Schon damals wirkte er "revolutionär ermüdet", was für
mich kein Eindruck des Moments war, sondern auch im Fernsehen stets
erkennbar blieb.
Statt der erforderlichen Konsequenz ließ er die Zügel schleifen,
verfiel immer wieder in Populismus. Die Scharfmacher blieben und die
wirtschaftliche/politische Korruption in Arafats Umgebung gedieh.
Arafat hätte auf einen Generationswechsel hinarbeiten müssen, aber
wer vermag das schon.
Sharon erhielt sich seinen militaristischen Eifer, weil er im
Vergleich zu Arafat in demokratisch geordneten Staatsverhältnisse
eingebunden erheblich weniger Grund zur Erschöpfung hatte, aber auch
er gehört zu einer Generation, die ihre politische Entwicklung in der
militärischen Verteidigung Israels nahmen und zumindest bis weit in
die Carter-Zeit auch kaum Alternativen zur militärischen
Landesverteidigung hatte. Dass diese Selbstbehauptungspolitik Israels
mit schwersten Fehlern und Verbrechen einherging, war mir oftmals
Veranlassung zu Demonstrationen. Es kann sein, dass damals geläufige
Parolen wie "Begin ist der Anfang vom Ende" auf meinem
Megaphon-Mist gewachsen sind, aber immer auch waren diese
Demonstrationen missbraucht im damaligen Ost-West-Konflikt. Es ging
nicht um das Leben der Menschen, sondern um Gezerre um geopolitische
Überlegenheit im Wettbewerb der Systeme.
Und heute? Parteinahme für eine der beiden Konfliktseiten zu nehmen,
wäre entweder Dummheit oder typischer Opportunismus all jener, die
auf Partnersuche für eigenen Schmutz sind.
Parteinahme kann es nur für die Menschlichkeit und für realistische
Friedensideen geben, die das Vertrauen herstellen, dass es für ein
zivilisiertes Nebeneinander von Staaten und Menschen braucht.
Forderungen wie "Hände weg von Palästina!" sind richtig,
aber verlogen, wenn man nicht zugleich forderte: "Hände weg von
Israel!"
Solche Forderungen wären also nicht falsch, aber man beachte die in
ihnen angelegte Polarität, die letztlich nicht der unverzichtbaren
Gemeinsamkeit der dort unter Besatzung und Terror leidenden Bevölkerungen
abträglich ist.
Die UNO hat viele richtige Resolutionen verabschiedet, aber einige
fehlen und Garantien zu ihrer Durchsetzung ebenfalls. Ich ließ mich
dazu auf der WebSite aus und will das hier nicht wiederholen.
Also AOW, woran liegt Dir? Rückt die israelischen Armee vor und zurück,
um "Lebensraum" zu erobern, wie es die Aufgabe der Wehrmacht
war? Du kennst die Verhältnisse im Nahen Osten nicht. Ein Teil davon
wird in dem Artikel, den Martin Dir empfahl, erläutert. Die
"Siedlungspolitik" wäre nachzutragen. Ich werde das mal bei
Gelegenheit ausführlicher tun. Hier nur soviel, dass sie in einer
Tradition der Selbstverteidigung steht und ihre Aktivisten sich spätestens
seit dem UN-Beschluss zur Staatsgründung Israels unrechtens darauf
berufen, sondern das durch die permanenten Kriegssituation bedingte
Territorial-Vakuum"" zur kostenlosen Grundbesitznahme
ausnutzten.
Die israelische Staatspolitik verhielt sich zu solcher Siedlerei sehr
uneinheitlich. Scharfmacher sahen darin Vorposten ihrer Politik,
andere Regierungen verhinderten die rechtswidrige Landnahme mit
Gewalt.
Zuletzt noch eine Frage zu Deiner politischen Sprache: Warum sprichst
Du von "israelitischen" Armee und nicht von einer
"israelischen", wie es gebräuchlicher ist. Warum sprichst
Du von "Israeliten" statt von "Israelis", wie es
richtig heißen würde. Oder bist Du ein "Deutschist"?
Grüße von Sven
Redaktion
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