Holocaust-Mahnmal in Berlin      Diskussion

 

Die nachstehenden Texte entstanden vor Fertigstellung des Holocaust-Mahnmals und waren skeptisch, kritisch gegen den Eisenmann-Entwurf. Aber ich fände vollkommen inakzeptabel, wenn nun das fertig gestellte Mahnmal nicht angenommen würde. Ich fände es unwürdig, wenn der Streit um das Mahnmal seinen Wert verkennt und Chancen versäumt. 
Deshalb positionierte ich mich mit dem Text >>  Holocaust-Mahnmal neu und stelle die früheren Texte hiermit nur noch in die Dokumentation.


 

Mit meiner Kritik am Berliner Holocaust-Mahnmal will ich nicht die Antwort schuldig bleiben, wie ich es mir vorstelle - und wie es auch jetzt noch veränderbar ist.

Mein Grundsatz von 2001 lautete banal und dennoch verpflichtend: 

"Mahnmale sind nur so gut wie ihre Wirkung." 

Ein Holocaust-Mahnmal wird nur positive Wirkung haben, 
wenn es die
"Vergegenwärtigung des Holocaust"
 
- in den vielfältigen Dimensionen seines Kontexts leistet, 

- nicht als "schicksalhafte Zwangsläufigkeit" verklärt, 

- sondern die politische Interventionsfähigkeit des Menschen zeigt, 
  denn Politik ist menschgemacht 

- und darin liegt die Verantwortung des Einzelnen im Rahmen seiner Möglichkeiten.

Lassen sich diese vielen Anforderungen nicht in einem Mahnmal symbolisieren,
so muss sich das Mahnmal zu seinen Erklärungsdefiziten deutlich bekennen.

Doch zunächst sei der Erklärungsbedarf kurz dargestellt, damit erkennbar wird,
was davon in dem Mahnmal umgesetzt wird und was als Defizit bleibt.

Keine Geschichte ohne Vorgeschichte:

Die Hoffnung auf den "Starke Mann" Hitler,
der sich auf die Verklärung des Ersten Weltkriegs stützt, 
auf den schlechten Versailler Vertrag und den Revanchismus
von Großkapital, "Kleinem Mann" und Bürgertum,
gestützt auf demokratisches Versagen der Weimarer Republik,
gestützt auf die Suche nach "festen Maßstäben" 
und die Suche nach "Schuldigen" für Katastrophen und Miseren.

Dann "das Volk". Zerrissen, viele die faschistische Botschaft bejubelnd, 
die vorgegaukelte Herrlichkeit feiernd, 
den wirtschaftlichen Aufschwung, das anmaßende Selbstbewusstsein, 
die "Leistungen des Führers", das Ruhrgebiet, mitlaufend, mitmarschierend, 
die Nachbarn verratend oder wegschauend den Judenstern sehen, 
sich schämend, trauernd, eingeschüchtert, schweigend, 
zweifelnd oder verzweifelnd, zu wenige auch Widerstand leistend.  

Die meisten Menschen mit sich beschäftigt, mit ihren "kleinen Alltagssorgen/freuden", 
angepasst an die sich ändernden Verhältnisse und diese nur beachtend 
bei eigener Betroffenheit, die sich mit dem Krieg noch mehr subjektivierte.

Dann das bittere und wahre "Deutschland Erwache!" :

Besiegtes Nazi-Reich statt der "Tausend Jahre" und der Holocaust wurde
in seinen Ausmaßen gewahr und ließ kaum Raum für die Trauer um die
nichtjüdischen Opfer.  Eine zerrissene Nation. Ein durch faschistischen Hass 
verratener Bund der Menschen.

Der Kollektivschuldkomplex:

Der Schmerz der Überlebenden umgeben von einem Bewusstsein der 
kollektiven Scham, die nicht auf kollektiver Schuld beruht, sondern auf dem 
Unvermögen, die Verbrechen ungeschehen zu machen und viele Menschen,
die sich dem (Selbst-)Vorwurf nicht erwehren können, mitschuldig geworden 
zu sein: durch Dummheit, durch Feigheit,
durch Rücksichtslosigkeit in vielen
Ausprägungen, durch Passivität

Und doch mischt sich darin zweierlei Verteidigung, die zu beachten ist:

1. "Der Deutsche" war in seiner durchschnittlich Passivität nicht anders als die 
durchschnittlichen Menschen anderer Staaten auch. Die meisten sind sich so
sehr selbst am nächsten, dass sie die Leiden anderer kaum berühren.

2. "Die Verantwortung der Deutschen" kann nur so weit reichen, wie sie um die
Verbrechen wussten und sie hindern konnten,
aber so viele Spuren auf den Holocaust hinwiesen, so heimlich fand er statt, 
dass nicht einmal die Opfer bei Ankunft der Todeszüge in Auschwitz wussten, 
dass sie ermordet werden.
  
Das sind wichtige Entlastungsgründe, was den Kollektivschuld-Vorwurf
anbetrifft, weshalb er auch in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen 
ausdrücklich abgelehnt wurde.

Aber aus dem Anspruch heraus, "dass solche Verbrechen einfach nicht passieren
dürfen", verbleibt vielen ein Kollektivschuld-Komplex, mindestens eine 
"kollektive Scham", der sich zwar viele zu verweigern versuchen, was ihnen 
allerdings nur im Trotz "gelingt", denn letztlich bleibt eben der politische Anspruch
unwiderleglich, "dass solche Verbrechen einfach nicht passieren dürfen".

Der Kollektivschuld-Komplex ist ein Hauptmerkmal der Holocaust-Debatte
und darf deshalb nicht übergangen werden:

Das Holocaust-Mahnmal muss zwischen Tätern, Mitläufern, "Normal-Versagern", 
Eingeschüchterten, Widerständlern und Opfern bekennend und signifikant 
unterscheiden, ansonsten versagt das Mahnmal und macht den geschädigten 
Achtungsanspruch/Nationalstolz erneut für Faschistisches, Rassistisches und
Antisemitisches instrumentalisierbar.

Es braucht eine klare Sprache in diesen Fragen:

"Die Deutschen duldeten nicht den Holocaust, sondern Deutsche begingen ihn."

"Dulden" kann nur, wer vom Holocaust wusste oder hätte wissen müssen.
"Dulden" kann nur, wem zumutbar war, gegen den Holocaust zu streiten.

Und der Maßstab zur Beantwortung dieser Fragen kann nur der 
"durchschnittliche Mensch" sein, den das Holocaust-Mahnmal allerdings 
durch Hinwendung zu den Opfern erziehen soll, denn der Holocaust war
nur möglich durch die fehlende politische Aufmerksamkeit, durch fehlende 
Zivilcourage und die fehlende Solidarität. 

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Als Nichtfreund allzu foto-realistischer Mahnmal-Sprache sei zudem gesagt,
dass in Mahnmalen Menschen und Verhaltensweisen durchaus in äußerster Abstraktion
vorgetragen werden können, um a) der Verkitschung des Themas entgegen zu wirken
und b) den Besucher intellektuell nicht zu unterfordern.  -  Insofern verteidige ich die
Formensprache des Eisenmann-Konzepts.

So stelle ich mir also ein Holocaust-Mahnmal vor, einschließlich seiner Geschichte,
denn die Vorgeschichte ist wesentlich, die "Begleitumstände" so wesentlich
wie "Auschwitz" selbst - und die Nachkriegsgeschichte ist wesentlich für heute 
und morgen

  
Auch mir scheint es unmöglich, ein solch komplexes Ding als Mahnmal zu 
konzipieren,
aber dann muss das Defizit ebenfalls symbolisiert sein, 
damit es sich dazu bekennt. 
Das geplante Dokumentationscenter genügt für diese Aufgabe nicht, wenngleich 
dort substantiiert wird.  Nein, das Mahnmal selbst muss sich zu seiner 
Reduzierung symbolisch bekennen, ansonsten reduziert es unweigerlich
und vermeidbar gegen die historische Wahrheit. 
  
Zudem muss das reduzierte Mahnmal bekennen, warum es "nur" der jüdischen
Opfer gedenkt. Auch das kann mitgetragen werden, aber nicht ohne die
bestmögliche Begründung. 

Wie würde sich das jetzt noch realisieren lassen?  

Durch eine "Schwarze Mauer (des Schweigens)" - des damaligen Schweigens,
die mitursächlich für das Verbrechen war - und des heutigen Schweigens, das
Teil der Andacht, der Besinnung, der Nachdenklichkeit ist.

Eine Mauer, Sichtbarriere, aber auch mit den Vorgängen vor ihr und nicht nur
dahinter, weshalb sie auf ihrer abgewandten Seite den "Gelben Judenstern" 
zeigen sollte.

Die Mauer könnte seitlich des Stelenfeldes errichtet werden, seitlich zu den
Wogen der Stelen.

Die Mauer könnte eine Länge von 12 Metern haben 
und eine Höhe von 6,80 Metern.

Die Mauer käme mit dieser Länge aus, denn das symbolisiert die Dauer und
Überlebtheit des Faschismus im Kontrast zu der symbolischen Ewigkeit der 
in den Stelen verkörperten, lebendigen Trauer, der Anklage, der
Niewiedergutmachbarkeit faschistischen Unrechts. - Wobei eben diese 
"Ewigkeit" einen politischen Willen ausdrückt, der das Gegenteil implizieren 
sollte, nämlich die Wunden über die Generationen heilen zu lassen, den
Menschen so zu emanzipieren, dass ihm die NS-Verbrechen in ihrer moralischen
Verkommenheit und ideologischen Irrationalität so bewusst wird, dass eine
Nichtwiederholung zur "selbstverständlichen Ewigkeit" reift. 

Die Mauer muss jedoch auch den Bruch in sich symbolisieren, vielleicht aus 
zwei Teilen bestehen, die zueinander versetzt den Durchbruch und Durchgang
lassen, die Chance symbolisieren, Mauern zu bezwingen.

Die politische Fragilität der Mauer könnte sich dadurch andeuten, dass sich ihr 
linker Teil zum Stelenfeld neigt und ihr rechter Teil "aufdeckend" nach hinten 
kippt, in ungleichen Winkeln, was einerseits ermöglicht, dass ein Teil der Mauer
seine relative Stabilität, also das "Funktionieren des Faschismus" bekennt,
andererseits nicht hindern kann, dass sie in historischer Logik dennoch fällt.

Durch die auseinander strebenden Mauer-Neigungen würde zugleich der Durchbruch 
nach oben erweitert und Perspektive schaffen.

Die Mauer könnte durch eine Texttafel erläutert werden, die sich nachbessern 
lässt, denn kein Text würde absehbar gelingen, der das gesamte Mahnmal 
genügend kommentiert. 

Dieser Mahnmalsteil könnte mit einem Besucherbuch kombiniert werden, 
um Dialog zu schaffen.

Markus Rabanus 20031104        gehacktes Forum   Diskussion


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