Dialog-Probleme im Chat |
Anonymität und Blick in die Seelen |
In den
Chats stellt sich im Prinzip das gleiche Problem wie in den Dialogen per
Foren oder EMail: Viele User nutzen die Anonymität, um sich von ihrer schlechtesten Seite zeigen zu können, produzieren sich in einer Weise, wie sie es sich in einer Umgebung nicht leisten würden bzw. könnten, in der sie für ihr Verhalten in die Verantwortung genommen werden könnten. So bedrückend
Begegnungen mit solchen Leuten sind, so sinnvoll ist es, sich die
Abgründe menschlicher Seelen erfahrbar zu machen. |
"Muss ich mir das antun?" |
Nein,
niemand ist verpflichtet, sich den Aggressionen und kranken Phantasien
anderer Leute auszusetzen. Dennoch sollte gesamtgesellschaftlich gewährleistet sein, dass man sich solcher Leute annimmt und so auf sie einwirkt, dass nicht anderen Menschen oder ihnen selbst Schäden erwachsen. |
"Aber wenn die keinen Dialog wollen?" |
Unsere
Dialog-Projekte versuchen den Dialog zwischen Menschen zu
gewährleisten, "die sich nicht
verstehen", weil sie sich verschiedenen politischen Richtungen
verpflichtet fühlen. Nun könnte man meinen, "wenn jemand etwas nicht versteht, dann soll er doch fragen", was immerhin vorkommt, oft aber sind sich die politischen Richtungen nicht nur "verschieden", sondern auch "verfeindet". Daraus resultieren viele, dass sie nicht fragen, sondern schimpfen, beleidigen, verletzen müssten. Diese
Ausgangssituation muss man sich bewusst machen: "Feinde wollen
Feinde treffen, um (irgendwie) zu siegen." |
"Feinde wollen Feinde treffen, um zu siegen" |
Die
klassische Reaktion auf "Feinde", die "kommen, sehen,
siegen" wollen, ist deren Zurückschlagung, "möglichst schon
an der Grenze", der staatlichen, der Wohnungstür, der Tür zum
Chat. Letzteres könnten auch wir tun, indem wir nur solche Chatter zulassen, die sich uns durch Personalausweis und gutes Benehmen auszeichnen. Aber dann wären wir nicht die Initiative-Dialog, denn wir wollen ja gerade "mit dem Feind reden" und den bekommen wir nur zu Gesicht, wenn wir ihm "Angriffsfläche" bieten. Also auch dieses muss
man sich bewusst machen: "Wir wollten, dass der Feind kommt." |
"Der Feind nahm unsere Einladung an" |
Im
Unterschied zur List: "Feind
lädt Feind ein und bringt ihn in der Falle um",
wollen wir da etwas anders sein, nämlich im Prinzip eher kein
"Feind", sondern tatsächlich "Gastgeber".
Grundsätzlich gelten
die Regeln des Gastgebers, aber man kann nur
insoweit darauf bestehen, wie man weiß, dass es den Gästen
möglich ist. |
"Der Feind ist sich 'was schuldig" |
Wenn
der Feind also kommt und auch er ohne List ist, dass sagt er nicht
"Schalom", sondern "Heil Hitler!" |
Ruhe und Humor oder Beendigung |
Die
absolut zuverlässigste Methode, im Chat mit solchen Feinden
klarzukommen ist, wenn man gute Nerven hat, mit Ruhe und Humor auf sie
zu reagieren. |
Abschied, Rauswurf oder ... |
Ohne etwas Übung werden Ruhe und Humor oft trotzdem nicht gelingen. Dann kommt man nicht aus der Reaktion zur Initiative und steckt andauernd ein. Das sollte man sich in ehernamtlicher Arbeit nicht über den Erfahrungseffekt hinaus antun:-), zumal solch zweifelhaftes Vergnügen auch noch Zeit und Online-Gebühren kostet. Ich empfehle in Fällen, in denen es zu nerven beginnt den geordneten Rückzug: also entweder selbst gehen oder den Peiniger aus dem Chat schubsen, denn er ist Gast und kommt man als Gastgeber mit ihm nicht zu recht, dann kann man ihn auch guten Gewissens verweisen. Wenn man einen
Rechtsextremisten aufgrund von Fiesheiten des Chats verweist, dann wird
er sich in seinem "Erfolg ein Verfolgter zu sein, der nicht anders
zu stoppen ist", bestätigt sehen. Räumt man dem Feind
hingegen ein, dass er einem "einfach zu böse für die Welt
ist", dann kommt man seiner Motivation meist so nahe, dass es ihm
auch wieder nicht recht ist. Und oft wechseln sie dann ihre Art -
freilich längst so schnell nicht ihr Wesen. |
... oder Ignore |
Die 3.
Möglichkeit, sich dem Generve einfach zu entziehen und gleichzeitig die
Feind-Energie sich selbst aufbrauchen zu lassen: den Nerver auf
"Ignore" zu schalten. All unsere Chats haben diese Funktion
und man sieht einfach nicht mehr, was da gemosert wird. Oft ist "Ignore"
sogar heilsamer als ein Rauswurf. |
RUHE durch Zögerlichkeit |
Wenn man
ungeübt, schlecht gelaunt oder sonst noch mit anderen Leuten und Dingen
beschäftigt ist, dann sollte man sich erstrecht nicht auf
Schlagabtausche einlassen. Überhaupt ist das wichtigste Instrument, um
Ruhe zu schaffen, etwas Zögerlichkeit an den Tag zu legen. |
und maximal zweimal pro Woche |
Wir
können in den Chats auf die Menschen nur begrenzt einwirken, etwas
Erfahrung bekommen und vermitteln, aber ändern kann man niemandes
Umgebung und nicht zuletzt darum auch den Chatter so wenig. Der Chat sollte also für das Dialog-Projekt nicht überschätzt werden. Ohnehin kommt nur ein Bruchteil der Website-Besucher zum Chatten, denn die meisten kommen, um irgendetwas für ihre Hausaufgaben-Erledigung zu finden. Darum empfehle ich den dialogischen Schwerpunkt doch eher im redaktionellen Bereich als im Chat. Die geschriebenen Dinge halten länger und bieten ebenfalls Dialog (über die Foren). "Maximal zweimal
pro Woche" = die allgemeine Empfehlung, denn durch Ehrenamtliches
sollte man weder sein Leben noch seine Pflichten in Mitleidenschaft
geraten lassen. Nur wenn man sich darin diszipliniert, kann man
dauerhaft Spaß an politischer Arbeit haben, ansonsten braucht man sich
auf, aber in der Kontinuität über längere Zeit liegt viel mehr
Vorteil und Überblick als mit dem Kopf durch die Wand oder den
"Feind". Grüße von Sven |