Bibelauslegung

Prämissen samt Vorbehalt         unfertig

Hallo Miwi,

- Deinen einleitenden Worten stimme ich zu, dass die Kirche nicht die biblischen Schriften übergehen kann und darf,

- dem herangezogenen Text stimme ich zu, dass Exegese nicht das Ziel haben darf, dass die biblischen Verbote in Erlaubnisse umgedeutet werden; und der dabei wichtigen Unterscheidung zwischen Duldung und Förderung ist beizupflichten.

All diese Richtigkeiten stehen unter Vorbehalten auf die ich anderenorts eingehen werde. 

Bei allem Verlangen nach Konformität und Konservatismus i.S.v. Bewahrung des Ursprünglichen, gingen die Theologien stets mit der Zeit, übergingen Gebote aus den biblischen Katalogen, suspendierten sie zumindest vorübergehend. 

Lesen Christen und Juden bei Moses die Kriegsgesetze oder die Rechte gegenüber Zweitfrauen, Sklaven, Sohn-Steinigungen und anderes, so gehen sie vielfach damit um, indem sie gar nicht damit umgehen. 

Das müsste es nicht so sein, wenn die in der Moral-Änderung verspürte Humanisierung als zulässig angeschaut würde.

Viele Glaubensgebote "gehen mit der Zeit", Gott selbst in seiner Ewigkeit und Allmacht "geht mit der Zeit", was sich kein Widerspruch sein muss, sondern Ausdruck der Souveränität Gottes, wenn er Entscheidungen revidiert bzw. durch Gnade neue Perspektiven weist und den Menschen darin formt.
 
Ich würde deshalb den Autoren der "mutigen Kleinschrift" in seinem theologischen Widerstand gegen die Gleichstellung der Homosexualität weniger rühmen, zumal es ohnehin nur Erdenmut ist und obendrein aus der Kraft der Tradition, zu der es stets weniger Mut bedarf als zu Neuem.

Ich plädiere hiermit nicht für die Gesetzesübertretung an sich, sondern für das Bewusstsein der im historischen Prozess gebundenen Moral, dass also die jüdischen und christlichen Theologien wie alle anderen Theologien auch, ihre Exegese unter dem Vorbehalt der permanenten und veränderlichen Auslese als beschränkt eingestehen und daraus Vorsicht im Autoritätsanspruch ihrer Lehren ableiten sollten.

Es wäre ein Trugschluss und es gäbe keine Katechismen, wenn die Widersprüchlichkeit, die jeder Entwicklung eigen ist, als Entwicklung zu negieren versucht. Und sie ist auffallend:

Wenn der Gläubige auf "unmenschliche" Bibelstellen trifft, erlebt er es als Zweifel und überwindet ihn durch seine erzogene Gewohnheit und Liebe. Solch Überwinden fällt dem Gläubigen auch deshalb leichter als Andersgläubigen, weil ihn die Härten nicht selten gegenüber den Andersgläubigen privilegieren.

Dem Andersgläubigen hingegen fallen die Härten stärker auf und es liegt in der Natur des Widerstandes jedermanns Gleichberechtigungsanspruch, dass aufgrund des so begründet entstehenden Vorurteils leider oft auch die versöhnlicheren Glaubensinhalte übersehen oder in ihren Kritiken am Judentum und Christentum bewusst übergangen werden, weil den Andersgläubigen zu sehr das ihnen Schlechte im Vordergrund steht und ausgeräumt gehört, bevor man sich an schöneren Passagen begründeter erfreuen könnte. 

Wir wissen, dass sich dieses nicht nur Antisemiten zunutze machen. Wir wissen auch, dass die Religionen in der gegenseitigen Anschauung oft nicht minder selektiv miteinander umgehen, also die andere Religion auf Unmenschlichkeiten reduzieren, die Reduktion für das Ganze nehmen, woraus dann die Feindbilder sind; insofern ein Fortschritt, was Du im Thread "Frohe Botschaft" zum Verhältnis des Vatikan ggü. anderen Religionen mit dem 2.Konzil zitieren konntest. 

Die christliche Theologie könnte sich hinsichtlich des Neuen in ihrer Glaubensmoral prinzipiell leichter tun, wenn sie sich dessen bewusster würde, dass Jesus das Alte Testament nicht nur konkretisiert, sondern zum Beispiel im Hinblick auf die Gewalt tatsächlich "revidiert", indem sie das Gebot der alttestamentarischen Nächstenliebe und Gnade universalisiert. 
Allerdings ließ sich das Christentum so oft und so massiv mit den weltlichen Mächten und Gelüsten ein, dass sie mit ihren Friedenspostulaten den anderen Religionen unglaubwürdig wurde. 
Die antichristliche Kritik muss sich wiederum die Kritik gefallen lassen, dass sie das Christentum oft bewusst auf ihre Versagensmomente reduziert, also unwahre Feindbilder zeichnet, worunter deren Glaubwürdigkeit nicht wenig leidet, denn die Kriege konnten nicht und niemals "in Nachfolge Christi" geführt werden, der das tötende Schwert verbot und dessen einziger "Kreuzzug" die Aufsichnahme des Kreuzes war und nicht, andere damit zu richten.

Auch die jüdische Theologie ist mit dem Talmud evolutionär, aber die Furcht vor Glaubensverstößen wiegt in beiden Religionen so schwer, dass die evolutionären (= überwindenden) Momente sich a) nicht hinreichend als solche zu bekennen trauen, ohne dass es Ketzerei wäre, b) stattdessen umgekehrt nur in legitimatorischer Rhetorik Altes Testament bemüht, ohne die durch Auslese übersehenen Gebote beachten zu wollen, obwohl kaum ein legitimierendes Zitat ohne Nachbarschaft solcher "übersehenen" Gebote möglich ist:
  
Die vielen Bezugnahmen der neueren auf frühere Schriften sind mir immer willkommen und gern schaue ich sie nach, aber sehe ich sie nach, dann steht dort all das Recht, das die Theologien aus ihrer eigenen Betrachtung und damit aus ihrem Bewusstsein verdrängen. Aber Andersgläubige sehen es. Und da sollten sich Gläubige nichts vormachen >> Die Zweitfrau bei Nichtgefallen zu verstoßen, ist entgegen den biblischen Schriften mit der heutigen Glaubensmoral nicht mehr vereinbar usw. 

Nicht viel anders sehe ich es mit den biblischen Verboten der Gleichgeschlechtlichkeit. Konservative Christen tun sich leicht damit, weil es für die Ablehnung der Homosexualität noch immer viel Rückhalt in der Gesellschaft gibt, aber Gläubigen, denen die Nächstenliebe 

unfertig


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