Antifa im Netz | 24. August 2000
Antifa mit der Maus
Der Kampf gegen rechts im Internet ist vor allem wohlfeile Symbolik

Von Detlef Borchers

 

Wäre die Realität wie das Internet aufgebaut, dann wäre Deutschland nazifrei. Kein Tag vergeht ohne Meldung vom bekennenden digitalen Antifaschismus. Virtuelle Lichterketten für engagierte Surfer, Kettenbriefe für den schnellen Protest und zahlreiche Initiativen sind im Angebot, nur einen Mausklick entfernt. Der Antifaschismus wird im Internet so leicht gemacht wie nie und kann bequem neben der üblichen Arbeit am Computer erledigt werden. Vor allem aber braucht man nicht hinaus auf die Straße, wo die bösen Glatzen hetzen.

Medienhäuser und Rundfunkanstalten sammeln sich unter www.NetzGegenRechts. de, die Ex-Eisprinzessin Katarina Witt startete www.web-gegen-rechts.de. Die CDU ist mit Netz Gegen Gewalt und einer NGG-Community mit von der Partie und betreibt unter www.netzgegengewalt.de eine Meldestelle für Nazi-Links. In eine entsprechende Filtersoftware gefüttert, blockiert diese Link-Sammlung den Zugang zu rechtsradikalem Gedankengut, so die Idee. Dass Link-Verbote immer auch Denkverbote sind, hat sich in der CDU noch nicht herumgesprochen. Doch damit nicht genug: Wer ohne Filtersoftware Seiten wie www.sieg-heil.de ansurft, sieht sich unversehens nach www.nazis-raus.de transportiert. Ein so genannter Redirector leitet die Anfrage zu einer politisch korrekten Seite um.

Andere digitale Antifaschisten belassen es bei den schlimmen Namen, besetzen aber die Inhalte: wwww.adolfhitler.de ist von einer Firma namens Erodata gekapert, die Pornoangebote freischaltet. Sie will den Namen werbewirksam der Regierung übergeben und nur unverfängliche Adressen wie Lesbenhits.de und oder Tinsex.de für sich behalten. Www.nazis.de, www.jude.de und www.nsdap. de leiten zu einer weiteren Initiative um, deren verzweifelter Aufruf die Lage gut skizziert: "Nazis und Antifaschisten, sprecht miteinander!"

Auch die Kasseler Firma Onlysolutions, die mit der Jagd auf illegale Markenlogos im Netz ihr Geld verdient, machte sich auf die Suche: Über 50 000 Hakenkreuze fand sie im Web, verstreut auf etwa 2000 Anbieter, von denen die meisten eine amerikanische .com-Domain betrieben. Die Liste wurde Anfang dieser Woche der Polizei übergeben. Unter den Adressen sollen sich historische Institute renommierter Universitäten und Web-Seiten von Schulen befinden, die sich mit dem Nationalsozialismus befassen. Im Zweifelsfall soll dies alles gesperrt werden, denn Onlysolutions möchte einen Filter gegen unerwünschte Inhalte entwickeln.

Diese Logik bringt Sabine Christiansen auf den Punkt, die bei der NDR-Initiative Gegen Hass - Für Toleranz dabei ist. Befragt, wie das Internet-Angebot ihrer Talkshow mit Nazis im Netz verfährt, erklärte sie der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Sobald diese zu erkennen sind, werden sie von unserem Chatmaster entfernt. Aufgaben der Medien ist es aber, das gesellschaftliche Umfeld zu erreichen, das dieser Gewalt und diesem Gedankengut erst den Raum gibt."

Vom Ausblenden zum Verdrängen und Vergessen: Chatmaster, die sofort aussperren, Verknüpfungen, die abgestellt werden, und andere digitale Polizeiaktionen werden das Problem nicht lösen. Die Lösch- und Sperraktionen des digitalen Antifaschismus sind eine Geste der Hilflosigkeit. Lange vor dem Durchbruch des Internet hat es eine Nazi-Szene gegeben, die den Computer sehr wohl einzusetzen wusste: Die abgeschotteten Mailboxen des Thule-Netzes gibt es immer noch. Mit der antifaschistischen Immunisierung des Desktops ist es nicht getan.

Dieser Artikel erscheint mit freundlicher Genehmigung der Zeit im Internet
Die Zeit im Internet