Leserpost

Dialogie

 


"Halbjuden und andere Zigeuner"

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: Roman S. <anonymisiert von redaktion>
An: redaktion

Gesendet: Sonntag, 30. April 2000 06:49
Betreff: Leserbrief

> Als Halbjude bin ich sich nicht verdächtig, Neonazi oder ähnliches zu
> sein. Es geht mir übrigens auch wirtschaftlich recht gut - ich brauche
> somit keinerlei Neidkomplexe zu haben.
>
> Was mich jedoch - ohne alle Emotionen interessiert:
>
> Wie verdienen Sinti und Roma ihren Lebensunterhalt? Wie werden die
> teuren Luxusautos und Wohnwägen finanziert? Die einstmals armen
> "Zigeunern" sind in den letzten Jahrzehnten offenbar reich geworden. Wie
> ging das?
>
> Grüße
>
> Roman

 

Lieber "Halbjude" Roman!

Dann bin ich bestimmt ein "Vollzigeuner"? :-))  Naja, zumindest entstamme ich dem Volk der Sinti.

Hingegen ist das Wort "Halbjude" problematisch, weil es an rassistische Sortierungen anknüpft.  Das Blut entscheidet aber nicht über das "Jude-Sein".

Entweder ich habe den jüdischen Glauben, dann bin ich "Jude" oder ich habe keinen jüdischen Glauben, dann bin ich kein Jude.

Wenn ich christlich erzogen bin, aber nicht (mehr) an Christus glaube, dann bin ich auch dann kein "Halb-Christ", wenn ich christliche Traditionen aufgrund meines sozialen Umfelds (zB. Weihnachten, Ostern) mitmache.

Was die Autos der "Zigeuner" betrifft, so gibt es auch in diesem Volk schon immer sehr reiche und sehr arme Menschen.  Ich kenne viele erfolgreiche Sinti-Kaufleute, die mit Teppichen und Gewürzen handeln, also den klassischen Geschäften "fahrender Völker". 
"Zigeuner" reparieren ihre Autos und handeln damit zuweilen gewinnbringend. Das ist nicht "verkehrt". Und eine Art "Umweltschutz" :)) ist es auch

Andere wiederum sind "bettelarm", wieder andere tun nur so.  Aber den wirklich "Bettel-Armen" das Betteln zu verbieten, den Hungernden das Stehlen zu verbieten, fällt zumindest mir nicht ganz leicht, auch wenn das Stehlen natürlich verboten sein muß :-)

Herzliche Grüße aus Berlin

von "Ihrem Zigeuner" 

ich fahre Porsche, weil schneller als Mercedes :-) 

und brauche keinen Wohnwagen, weil eigenes Haus (mit bildschöner Frau und klugen Kindern - alles Teppichhändler :-)  bitten keinen Neid !!!

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ps: Bin übrigens kein Sinto, aber so hätte ich Dir geantwortet, wenn ich einer wäre.
 

 

"Antisemitismus" oder "Rassismus"  ???

-----Ursprüngliche Nachricht-----

Von: jonny m.  anonymisiert

An: redaktion

Gesendet: Mittwoch, 16. August 2000 12:54
Betreff: Halbjude Roman

Lieber Roman,

mit dem Begriff "Halbjude" verwendest Du, sicher unbewusst, einen Begriff aus den "Nürnberger Rassegesetzen" der Hitlerära. Das ist weit verbreitet, hatte sich doch diese Ideologie fest in die Köpfe der Deutschen verankert. Die faschistische Propaganda war ja bekanntlich eine der größten und beste Marketingstrategien, die es gab. Verstehe mich bitte nicht falsch - ich zolle natürlich dieser Strategie keine Anerkennung, aber wie hätte sonst ein ganzes Volk so manipuliert werden können.

Aber genau Du lieferst ein Beispiel dafür, wie sich diese Termini bis heute erhalten haben. Und genau hier liegt ein Kern der vielen Kerne faschistischen Ungeistes: Unbewußter Antisemitismus!
Wir überprüfen uns zu wenig, wenn wir Sätze bilden. Selbst in seriösen Zeitungen kommen unbewußte Rasseideologien vor.
Und noch ein Punkt: Da wir den Begriff "Antisemitismus" zu lange ungeprüft verwenden (er stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, also lange vor Hitler), erkennen wir gar nicht, daß der Deutsche Faschismus nicht antisemitisch war (Semit: Angehöriger einer Volksgruppe, die sich einer semitischen Sprache bedient), sondern rassistisch. Denn den Faschisten war doch die jüdische Religion egel, sie wollten die "Deutsche Herrenrasse" tüchten.

Das was wir heute vorfinden an Ausländerfeindlichkeit wird auch oft als Antisemitismus bezeichnet. Ist es aber nicht. Es ist einmal Rassismus erster Güte und zum anderen die Fremdkulturfeindlichkeit unserer Menschen. Wir haben Vorbehalte gegen andere Kulturen. Um aber diese Fremdkulturfeindlichkeit abzubauen, müssen wir uns erst einmal damit befassen. Und das tun wir zu wenig, zumal die Kulturen der Völker (auch des Deutschen Volkes) aus ihrer jeweiligen Religion erwachsen sind.
Martin Luther beispielsweise war Antisemit - das heißt, er bekämpfte die Religion der Semiten, weil er einer anderen Religion anhing und diese in Konkurrenz zum Judentum setzte.
Der Schlüssel liegt meiner Meinung nach in der Achtung der anderen Kulturen und der daraus hervorgegangen Religionen. Natürlich nicht ohne zu analysieren, welche Kultur und welche Religion mißbraucht worden sind. Ich bin Atheist, aber ich achte alle Religionen, nur nicht die
Macher, die die Religionen für sich beanspruchen und deren Liturgien bis zur Unkenntlichkeit verbiegen. Das trifft für mit für die Katholische Kirche genauso zu wie für sogenannte fundamentale Muslime. Die Religion an sich ist für die Menschliche Gesellschaft vollkommen ungefährlich. Es dürfen nur keine selbsternannten Führer dazu kommen, die diese Religionen für ihre Macht mißbrauchen.
Also: Ich kann Dich beruhigen. Du bist kein Halbjude. Vielleicht waren nicht mal Deine Eltern Juden, weil sie sich taufen ließen. 

Und eine Bitte: Setze dich bitte mit diesen Termini auseinander und agitiere dafür, daß diese unseeligen Begriffe der "Nürnberger Rassegesetze" aus den Köpfen verschwinden.

Jonny M.

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